Norderney-Bunker
sagte er ins Telefon:
„Passen Sie auf, Herr Kollege. Wir machen jetzt Folgendes: Sie halten sie an der Mole fest, und ich rufe Sie in zehn Minuten wieder an. Dann sage ich Ihnen, wie wir weiter verfahren.“
Auf der Terrasse des Extrablatt herrschte nun die Stille vom Format einer Schweigeminute in einem Luftschutzbunker. Kein Klimpern von Besteck oder Geschirr, kein Hüsteln, keine Schritte, nicht einmal das Rascheln eines Armbands oder einer Halskette war zu vernehmen. Faust allerdings sprengte den Augenblick knisternder Spannung nach nur wenigen Sekunden, indem er seinen Stuhl krachend nach hinten schob, aufsprang und ins Café lief. Dort drückte er der kleinen blonden Bedienung einen Zwanzig-Euro-Schein in die Hand und ging.
Visser war ihm hinterhergelaufen. Bis zum Soko-Büro waren es nur ein paar Meter.
„Nun klär’ mich endlich auf“, schnauzte Visser seinen Kollegen noch im Treppenhaus an.
„Nicole Philipps ist festgenommen worden. An der Mole in Norddeich. Sie will eine Aussage machen.“
„Und jetzt wisst ihr nicht, wie ihr sie hierher auf die Insel kriegt.“
„Ja. Genau das ist der Fall. Jedenfalls warte ich nicht bis morgen, bis endlich wieder eine Fähre fährt.“
Während Faust im Büro auf- und ablief und weiter zeterte und schimpfte, griff Visser zum Telefonhörer. Nach weniger als einer halben Minute ging er auf Faust zu und legte ihm den Arm ebenso triumphierend wie freundschaftlich auf die Schulter. Dann sagte er: „Pass’ auf, Kollege. Du kochst uns jetzt einen leckeren Kaffee und machst es uns gemütlich. Ich bin in gut einer halben Stunde zurück – mit Nicole
Philipps.“
Visser genoss jedes einzelne Fragezeichnen in den Augen von Carlo Faust. Dann griff er seine Jacke von der Stuhllehne und verließ das Soko-Büro.
Die Ereignisse überschlagen sich
Die Kaffeemaschine lief, Faust hatte für die Vernehmung der flüchtigen Hotelangestellten Nicole Philipps alles vorbereitet. Sein Puls ging wieder normal. Nun wollte er noch einmal an die frische Luft – nur eben auf die Schnelle in Ruhe unten vor dem Rathauseingang eine Zigarette rauchen. Er lehnte sich gegen die Säule der Balustrade und atmete die frische Seeluft ein. „Ja, wenn wir diesen Fall aufgeklärt haben, dann mache ich hier auf dieser Insel einmal Urlaub“, dachte er, als ihm jemand von hinten mit dem Finger auf die Schulter tippte.
„Ich wollte gerade zu Ihnen. Sie sind doch der Herr Faust, der Soko-Chef?“
Faust erschrak. Er schaute sich um und sah einen jungen Mann, den er einmal flüchtig gesehen haben musste, überlegte er.
„Mein Name ist Habbo Eilers. Ich bin, besser gesagt, war, der Lebensgefährte von Karin Mayer-Lübbecke. Sie erinnern sich an sie?“
Faust spürte sehr genau den beißenden Spott in dieser Frage und die Wut, die da mitschwang. Ihm fiel ein, dass er den Mann vor ein paar Tagen unten am Leuchtturm gesehen hatte, nachdem die Journalistin tot aufgefunden worden war. Er zog die Augenbrauen hoch und beschloss, die Ruhe zu bewahren.
„Ja, ich erinnere mich. Selbstverständlich. Und ich hoffe sehr, dass wir das schreckliche Verbrechen an Ihrer Lebensgefährtin bald aufklären können.“
„Danach sieht es aber wohl im Moment nicht aus. Ich vermisse jegliche Initiative. Seit Tagen habe ich den Eindruck, Sie interessieren sich nur für den Fall Aden. Im Umfeld von Karin haben kaum Vernehmungen stattgefunden.“
„Lassen Sie das mal unsere Sorge sein. Wir setzen unsere eigenen Prioritäten und sind keinesfalls untätig, wenn Sie das andeuten wollen“, reagierte Faust bestimmt, aber immer noch ruhig und besonnen.
Doch Eilers gab nicht nach und giftete Faust jetzt mit weit aufgerissenen Augen mitten ins Gesicht: „Wie toll Ihre Arbeit ist, zeigt allein die Tatsache, dass sich hier eine Bürgerwehr gegründet hat. Ich kann nur hoffen, dass sich bald etwas tut. Und glauben Sie mir, Herr Faust. Wenn das, was mir zugetragen wurde, stimmt, dann steht ihre Abberufung von der Insel ohnehin bevor.“
Dann drehte sich Eilers wie in Zeitlupe ab, so, als wäre er von der einen auf die andere Sekunde total erschöpft, und schlich davon. Faust warf die Kippe auf den Kurplatzrasen, murmelte ein paar Wörter, die aus untersten Schubladen nicht zitierfähiger Fäkalsprache stammten, und ging zurück ins Büro.
Als sein Handy klingelte, sah er, dass es die Nummer der Polizeistation an der Knyphausenstraße war. „Was wollen die denn jetzt noch?“, fragte er sich. Wieder spürte er, wie
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