Nordmord
Obduktion schon beendet war.
Die äußere Besichtigung war auch bereits abgeschlossen, die
Bauchhöhle war geöffnet. Dr. Becker entnahm gerade eine Gewebeprobe.
»Können Sie schon Genaueres über die Todesursache sagen?«
Der Arzt zuckte leicht mit den Schultern.
»Nur so viel: Einen natürlichen Tod oder Selbstmord können
wir mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen.«
»Wieso?«
»Schauen Sie hier.« Er deutete dem Kommissar, näher an den
Sektionstisch zu treten. »Diese Flecken am Hals sind eindeutig Würgemale.
Außerdem ist das Zungenbein gebrochen.«
»Und diese Verletzungen könnte sie sich nicht selbst zugefügt
haben?«
Der Gerichtsmediziner schüttelte seinen Kopf.
»Jedenfalls nicht bis zum Tod. Oder haben Sie schon mal von
einem Suizidfall durch eigenhändiges Erwürgen gehört? Das ist praktisch
unmöglich.«
»Und der Todeszeitpunkt?«
»Schwer zu sagen. Vermutlich vor drei bis fünf Tagen.«
Malte schob langsam den Wagen der Essensausgabe
über den Gang. Er hatte es nicht eilig. Sein Dienst würde schließlich nicht
schneller vorbei sein, wenn er sich beim Austeilen des Mittagessens beeilte.
Außerdem war es ihm egal, ob die Patienten ein warmes Essen serviert bekamen.
Nörgeln würden sie so oder so.
Er öffnete die nächste Zimmertür und nahm ein Tablett vom
Wagen.
»So, Frau Kleine, hier ist Ihr Mittagessen.«
Die hagere, alte Frau saß mit verkniffenem Gesichtsausdruck
in ihrem Bett. Sie war schon einige Wochen hier und er konnte sie nicht
ausstehen.
»Wurde ja auch langsam Zeit
oder soll ich verhungern?«
Er stellte das Tablett auf den Tisch am Fenster. Frau Kleine
begann sofort, zu nörgeln. Sie könne nicht aufstehen, wolle das Essen ans Bett
serviert haben. Außerdem sei ihre Teetasse leer, sie verlange auf der Stelle
neuen.
In aller Ruhe nahm Malte die Abdeckhaube vom Menüteller und
freute sich diebisch, als er sah, dass Frau Kleine immer noch Schonkost bekam.
Pampigen Haferbrei.
»Den Brei können Sie sofort wieder mitnehmen. Das esse ich
nicht. Bringen Sie mir gefälligst etwas Anständiges!«
Ohne ein Wort deckte er das Essen wieder ab und verließ das
Zimmer. Frau Kleine klingelte wie wild, das Lämpchen über der Tür blinkte.
»Was ist denn mit Frau Kleine?«, fragte seine Kollegin, die
ihm im Gang entgegenkam.
Er winkte ab, deutete auf das Tablett und erzählte, dass die
Patientin sich schon wieder über das Essen beschwert hatte.
»Wir sind doch kein Fünf-Sterne-Restaurant«, pflichtete ihm
die Kollegin bei. »Sollst dich übrigens beim Chef melden. Klang dringend.«
Das Büro von Professor Werner Heimkens befand sich in der
dritten Etage. Malte klopfte kurz an die Tür, bevor er eintrat.
»Sie wollten mich sprechen?«
Der kleine, dunkelhaarige Mann hinter dem Schreibtisch sah
auf und blickte ihn mit verschwörerischem Blick durch die dunkle Hornbrille an.
»Nächste Woche brauche ich Sie für einen Krankentransport.«
»Wie immer?«
Professor Heimkens nickte.
»Wie immer!«
Haie lehnte sein neongelbes Fahrrad an den Zaun
der kleinen Gastwirtschaft, die auf einem kleinen Hügel an der Dorfstraße
gelegen war.
Als er den Gastraum betrat, sah er Max, den Wirt, an der
Theke Gläser spülen.
Er begrüßte kurz die zwei anderen Gäste und setzte sich an
den Tresen.
»Machst du mir ein Bier?«
Max schaute ihn misstrauisch an.
»Was verschlägt dich denn um diese Zeit in meine bescheidene
Wirtschaft?«
Er nahm eines der frisch gespülten Gläser und hielt es unter
den Zapfhahn. Haie versuchte, möglichst belanglos zu wirken, erzählte zunächst
von einigen Begebenheiten aus der Grundschule und fragte anschließend, was es
denn so Neues im Dorf gäbe.
Der Wirt stellte das Bier vor ihn auf den Tresen.
»Nun tu bloß nich so. Hast doch bestimmt schon gehört, dass
sie gestern die tote Frau aus der Lecker Au gefischt haben!«
Haie bestätigte ihm, dass die alte Kaufmannsfrau ihm so etwas
erzählt hatte. Ob man denn schon wisse, wer die Tote sei.
Max schüttelte den Kopf.
»Ich hab die nicht gekannt.«
Er erzählte, dass man die Tote in der Nähe von Norderwaygaard
gefunden hatte.
»An der Bushaltestelle kurz vor der Brücke.«
Die Brücke sei abgesperrt worden, aber er sei vorher schon da
gewesen. Habe den nackten Körper kopfüber im Schilf gesehen. Gruselig hatte das
ausgesehen. Er goss sich einen Klaren ein.
»Woher wusstest du denn davon?«
»Bernd rief mich an. Der hat sie ja
Weitere Kostenlose Bücher