Nordmord
gefunden.«
12
Tom und Marlene schoben die Fahrräder durch den
kleinen Ort.
»Guck dir mal die Straßennamen hier an. Hö-ö-w-ja-at«,
versuchte er, zu buchstabieren. »Was bedeutet das?«
»Kirchgasse. Das ist Friesisch.«
Sie lächelte ihn an und erzählte, dass hier in
Nebel die Straßen, Wege und Gassen friesische Namen trugen. Ganz amtlich und
ausschließlich. Der Ort sei halt sehr traditionsbewusst.
»Komm, ich zeig dir noch etwas Interessantes.«
Sie stellten ihre Fahrräder ab und betraten den Friedhof, der
neben der weißen Kirche mit dem spitzen Turm lag.
Während sie auf die Gräber
zuliefen, erklärte Marlene, dass die Amrumer früher hauptsächlich Seeleute
waren. Insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert hatten sie auf Walfischfängern
angeheuert. Harpunierer, Steuerer, Bootsmänner und Trankocher seien sie
gewesen, manche sogar Schiffsoffiziere oder Kommandeure, wie man die Kapitäne
auf den Walfangschiffen genannt hatte.
»Schau hier, die Steine auf den Seemannsgräbern erzählen
teilweise ganze Lebensgeschichten.«
Sie wanderten zwischen den steinernen Grabplatten hindurch,
die vom Leben und Sterben der Seemannsleute berichteten. Viele Steine waren mit
einem plastisch aus dem Stein herausgearbeiteten Segelschiff verziert.
»Nicht alle kehrten zurück.«
Marlene strich mit ihrer Hand über einen der Steine.
»Viele blieben auf See, starben am Gelben Fieber, ertranken,
wurden gefangen genommen, gingen an Skorbut zugrunde.«
»Apropos Skorbut. Bevor
wir irgendeinen Ernährungsmangel erleiden. Meinst du, es gibt hier in der Nähe
vielleicht auch ein kleines Restaurant oder Ähnliches?«
Sie grinste.
»Aber sicher.«
Kommissar Thamsen saß an seinem Schreibtisch und
starrte auf die Fotos vor ihm. Je länger er das tat, umso zweifelloser wurde
seine Vermutung, dass die Tote auf den Bildern wahrscheinlich Heike Andresen
war. Die junge Frau, die ihn so dringend hatte sprechen wollen, aber nicht zu dem
vereinbarten Termin erschienen war.
Was hatte sie ihm erzählen wollen? Und wer hatte sie nun für
immer zum Schweigen gebracht?
Die Tür zu seinem Büro
wurde schwungvoll ge-öffnet. Die beiden Kollegen aus Flensburg, die mit ihm
eine SoKo bilden sollten, betraten den Raum.
»Moin, Dirk. Und, was gibt es?«
Er bot ihnen an, Platz zu nehmen, und überreichte die Akte.
Der ältere der beiden Männer blätterte bereits darin herum, während er kurz und
knapp über den Stand der Ermittlungen berichtete.
»Ich würde sagen«, schloss er seine Ausführungen, »ihr fahrt
zusammen mit Dr. Becker noch einmal zum Tatort raus und ich kümmere mich mal um
die Identifizierung der Leiche.«
»Es ist noch gar nicht bestätigt, dass das Opfer wirklich
Heike Andresen ist?«
Dirk Thamsen stand schnell auf. Er wusste ja selbst, dass er
gezögert hatte.
»Ist aber nur eine Formsache.«
Sie hatte ein kleines Restaurant im Uasterstigh
ausgewählt.
Tom studierte eingehend die Speisekarte.
»Ich glaube, ich nehme den Matjes. Das hört sich doch gut
an.«
Er war hungrig von der frischen Luft und der körperlichen
Ertüchtigung, außerdem liebte er Matjes. Marlenes Hunger hingegen hielt sich in
Grenzen. Sie wählte lediglich einen Salat.
Er wusste, dass sie sich immer noch Sorgen um Heike machte,
und versuchte, sie abzulenken.
»Wie kommst du eigentlich im Institut voran?«
Sie erkannte sofort seine Absicht, lächelte ihn jedoch
dankbar an.
»Sehr gut.«
Das Projekt über Theodor
Storm sei äußerst interessant. Momentan sei sie mit der Namensgebung im
›Schimmelreiter‹ beschäftigt. Ob er wüsste, dass Hauke Haien nach der
patronymischen Namensgebung eigentlich Hauke Tedsen, nach seinem Vater Tede
Haien, hätte heißen müssen?
Interessiert folgte er ihren begeisterten Ausführungen.
»Außerdem war Hauke gar kein typisch nordfriesischer Name.
Abgeleitet von dem Namen Hugo, findet man ihn zur damaligen Zeit nur in ost-
und westfriesischen Namensregistern.«
Das Essen wurde serviert und er aß mit großem Appetit.
Marlenes Sorgen waren plötzlich wie weggeblasen. Nach dem Salat bestellte sie
noch eine Fischterrine und anschließend zum Nachtisch Vanilleeis mit heißen
Kirschen.
Gut gestärkt traten sie den Rückweg an. Der Wind hatte
gedreht und wieder hieß es, gegen die heftige Brise an zu radeln. Diesmal
konnte er jedoch einigermaßen mit ihr mithalten, denn sie fuhr wesentlich
langsamer als auf dem Hinweg.
»Sieh mal dort den
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