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Nordmord

Titel: Nordmord Kostenlos Bücher Online Lesen
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beschäftigtes Packen zu entkommen. Sie rannte an ihm vorbei ins Bad. Er hörte,
wie sie die Badesachen einpackte. Es schepperte, Glas zersprang.
    Er ging ins Bad. Marlene saß auf dem Wannenrand, ihr Blick
war starr auf das zerbrochene Parfumfläschchen auf dem Fliesenfußboden
gerichtet.
    »Es ist nicht Heike. Es kann nicht Heike sein!«, flüsterte
sie immer wieder vor sich hin. Als er sie an der Schulter leicht berührte,
zuckte sie zusammen und begann, heftig zu weinen.
    Er ließ sich neben ihr
auf dem Wannenrand nieder, legte seinen Arm um sie. Ihr Körper wurde durch
unkontrolliertes Schluchzen geschüttelt. Eine Weile saßen sie so nebeneinander,
als plötzlich sein Handy klingelte.
    »Meissner?«
    Es war Kommissar Thamsen. Er fragte nach Marlene.
    »Wir sind auf Amrum«, erklärte Tom.
    Wann sie denn wiederkämen? Er bräuchte sie für eine
Identifizierung. Man habe nämlich eine junge Frau gefunden.
    »Ich weiß.«
    Was er nicht wusste, war, ob heute überhaupt noch eine Fähre
zurückfuhr. Es war schon nach 20 Uhr.
    »Ich melde mich, wenn wir wissen, wann wir bei Ihnen sein
können.«
    Er erhob sich. Marlene blickte ihn fragend an.
    »Bin gleich wieder bei dir.«
    Er küsste sie auf die Stirn.
    Die freundliche Dame von der Rezeption schüttelte allerdings
den Kopf, als er nach einer Möglichkeit fragte, noch heute aufs Festland zu
gelangen. Ob es ihnen denn nicht gefiele? Er erklärte den plötzlichen
Abreisewunsch mit einem Notfall in der Familie.
    Marlene stand bereits in Jacke und mit gepackter Tasche im Zimmer,
als er zurückkehrte. Er nahm sie in die Arme.
    »Die nächste Fähre geht erst morgen früh um 6.15 Uhr.«
    Sie wirkte völlig apathisch. Er führte sie zum Bett, half
ihr, Jacke und Schuhe auszuziehen, deckte sie zu. Beim Zimmerservice orderte er
einen Kamillentee.
    »Es ist bestimmt nicht Heike«, versuchte er, auf sie
einzureden, doch sie schien wie von dicken Mauern umgeben. Seine Worte
erreichten sie nicht. Pausenlos rannen Tränen über ihr Gesicht. Er legte sich
neben sie und streichelte ihr übers Haar.
    Irgendwann musste er eingeschlafen sein, als er wach wurde,
stand sie am Fenster und blickte hinaus.
    »Weißt du«, begann sie unvermittelt, »Heike und ich, das ist
so ähnlich wie bei Zwillingen. Ich habe von Anfang an gespürt, dass etwas
passiert ist.«
    »Aber nun warte doch ab. Man weiß doch gar nicht, wer die
junge Frau ist, die sie gefunden haben.«
    Sie drehte sich zu ihm um.
    »Ich weiß, dass es Heike ist!«

13
    Sie waren beinahe die einzigen Fahrgäste auf der
Fähre. So früh am Sonntagmorgen war kaum jemand auf den Beinen. Nur ein paar
Frühaufsteher bevölkerten die Cafeteria und versuchten, bei einer Tasse Kaffee richtig
wach zu werden.
    Sie standen auf dem Deck an der Reling und beobachteten
stillschweigend, wie Amrum sich immer mehr entfernte. Die Sonne war inzwischen
aufgegangen, aber der böige Wind wehte kalt. Marlene hatte sich ihre Mütze
aufgesetzt.
    Sie war immer noch ganz ruhig. Tom vermutete, dass die Angst
um ihre Freundin sie lähmte, ansonsten konnte er sich den Umschwung ihres
panischen Verhaltens in diesen stillen Zustand nicht erklären.
    »Hast du schon einmal einen toten Menschen gesehen?«
    Sie schien sich gedanklich auf die Begegnung in der
Leichenhalle vorzubereiten. Er schüttelte den Kopf.
    Die Fähre legte in Dagebüll an. Hand in Hand verließen sie
die ›Nordfriesland‹ und gingen zum Parkplatz. Vom Hafen fuhren sie direkt nach
Niebüll zum Krankenhaus.

     
    Auch Kommissar Thamsen war an diesem
Sonntagmorgen früh aufgestanden. Er hatte sich seine Sportschuhe angezogen und
war losgejoggt. Gleich hinter dem Häuserblock, in welchem sich seine kleine
Wohnung befand, führte eine schmale Straße hinaus in den Gotteskoog. Den Blick
starr auf den Weg gerichtet, die Gedanken allerdings in alle Richtungen
zerstreut.
    Zunächst einmal musste er sich überlegen, was mit seinen
Kindern werden sollte. Seine geschiedene Frau war augenscheinlich nicht in der
Lage, die Kinder anständig zu versorgen. Aber wo sollten die Kinder bleiben? Er
selbst konnte sich bei seinem unregelmäßigen Dienst auch nicht um Timo und Anne
kümmern. Und seine Mutter? Vielleicht, wenn sie ihm hin und wieder half? Er war
sich nicht sicher. Konnte er ihr das zumuten?
    Er verdrängte seine Probleme, indem er die Entscheidung, was
mit den Kindern passieren sollte, auf den Zeitpunkt nach Auflösung des
aktuellen Falls verschob.

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