Nordmord
darüber zu sprechen. Eine Welle der
Traurigkeit überkam sie gerade. Alles schien so sinnlos. Warum hatte Heike
sterben müssen? Wieso ausgerechnet sie? Was hatte sie denn getan? Eine Träne
rann über ihr Gesicht. Sie setzte sich, das Besteck, welches sie noch in den
Händen hielt, glitt einfach zu Boden. Haie beeilte sich, es aufzuheben.
»Sie werden das Schwein sicherlich kriegen«, versuchte er,
sie zu trösten, und legte seine Hand auf ihren Arm. Doch sie wies ihn zurück,
wollte sich einfach nur verkriechen. Sie war angespannt, denn morgen sollte die
Beerdigung sein und sie hatte keine Ahnung, wie sie diese überstehen sollte.
»Ich muss noch meine Sachen packen«, sagte sie und sprang
auf. Er zog verlegen seine Hand zurück, stand etwas hilflos in der Küche.
»Ich muss auch los.«
Er wusste nicht, wie er
ihr helfen konnte. Natürlich schmerzte der Verlust einer lieben Freundin. Er
wäre genauso traurig, wenn Marlene so etwas passiert wäre. Aber er kam nicht an
sie ran, konnte sie nicht trösten. Ehrlich gesagt, hatte er auch keinen blassen
Schimmer davon, wie. Was half in so einer Situation wirklich? Gab es überhaupt
einen Trost? Er dachte zurück an den Zeitpunkt, als er sich von Elke getrennt
hatte. Es hatte ihn hart getroffen. Er hatte sogar geweint. Aber hatte ihn damals
wirklich etwas trösten können? War es nicht auch so gewesen, dass er sich
verkrochen hatte, ganz alleine mit sich und seinem Kummer hatte sein wollen?
Das Einzige, was ihr wahrscheinlich wirklich helfen würde, die Sache besser zu
verarbeiten, wäre, wenn der Mörder endlich gefasst wurde.
Er stieg auf sein Fahrrad und fuhr die Dorfstraße bis zu dem
schmalen Weg, der zur Schule führte. Etliche Kinder waren unterwegs zum
Unterricht. Mit schweren Schultaschen beladen radelten sie an ihm vorbei.
Normalerweise fuhr er ein schnelleres Tempo, aber heute war er noch in seine
Grübeleien vertieft und radelte langsam vor sich hin.
Als er die Schule erreichte und sein Fahrrad anschloss,
begegnete ihm Mira Martens. An der Hand hielt sie Sebastian, ihren achtjährigen
Sohn.
»Moin, Mira«, grüßte Haie sie. »Wie geht es Lisa?«
Miras Tochter litt an chronischem Nierenversagen. Haie kannte
das Mädchen aus der Grundschule. In letzter Zeit hatte er sie jedoch nicht
gesehen und vorige Woche erfahren, dass Lisa im Krankenhaus lag.
Die Mutter seufzte laut und erzählte, dass sich der Zustand
leider verschlechtert hatte. Die Niere arbeitete fast gar nicht mehr. Aus der
Familie kam außer Sebastian niemand als Spender in Frage, aber er litt an
Diabetes und durfte deshalb seiner Schwester keine Niere spenden. Sie legte den
Arm um ihren Sohn und zog ihn fester an sich.
»Wenn sich nicht bald eine Spenderniere findet«, sie holte
tief Luft, »sieht es leider gar nicht gut aus.«
Haie trug ihr
Grüße für Lisa auf und machte sich an die Arbeit. Ein paar Glühlampen mussten
dringend ausgetauscht werden, der Rasen gemäht und auf dem Lehrerklo war der
Spülkasten defekt. Als er die Aufgaben erledigt hatte, war es bereits früher
Nachmittag und er beschloss, für heute Feierabend zu machen. Elke hatte ihn
gebeten, wegen ein paar handwerklichen Angelegenheiten zu ihr zu kommen. Das
wollte er gerne tun, schließlich gehörte ihm das Haus noch zur Hälfte und sie
war nun wirklich nicht in der Lage, größere Instandsetzungen selbst
vorzunehmen. Er hoffte jedoch, dass die angeblichen Arbeiten nicht wieder nur
ein Vorwand waren, um ihn zu sehen.
Aber es gab tatsächlich wichtige Reparaturen am Haus. Einige
Dachpfannen hatten sich gelöst und es tropfte bereits auf den Dachboden durch.
Elke hatte einen Eimer hingestellt.
»Doch besser, dass du mir Bescheid gegeben hast!«,
beantwortete er ihren leicht fragenden Blick und machte sich daran, die
defekten Dachziegel auszutauschen und das Dach regensicher zu machen. Elke
schaute ihm von unten ängstlich dabei zu.
Anschließend lud sie ihn zum Essen ein. Haie wollte nicht
unhöflich sein, außerdem gab es Birnen, Bohnen und Speck. Er liebte dieses
Gericht und sie konnte es wirklich vorzüglich zubereiten.
Während des Essens fragte
sie, wie es denn Marlene ginge. Er zuckte mit den Schultern. Wie sollte es ihr
schon gehen? Ihre beste Freundin war ermordet worden. Elke hatte gehört, dass
die Polizei befürchtete, dass vielleicht sogar ein Serienmörder im Dorf umging.
Die Frauen hatten Angst, trauten sich nicht mehr auf die Straße.
»Mir ist es
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