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Nordmord

Titel: Nordmord Kostenlos Bücher Online Lesen
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welcher nun auf seinem Schreibtisch stand.
    Er bedankte sich und fragte noch nach den Kleidungsstücken.
Der Kollege antwortete, dass man an der Kleidung verschiedene Fasern gefunden
habe, mit den Handschuhen sei die Spurensicherung aber noch nicht fertig.
    »Dann mach mal ein wenig Druck!«
    Nachdem der andere gegangen war, nahm er zunächst das Foto
des kleinen Jungen aus dem Karton. Wer das wohl war? Verwandtschaft? Patenkind?
Er konnte vielleicht Marlene Schumann fragen, wenn sie von der Beerdigung
zurück war. Jeder noch so kleine Hinweis konnte wichtig sein.
    Er legte das Foto zu der Akte und griff nach dem Kalender. Es
war eher eine Art Notizbuch, in dem die Ermordete teilweise medizinische
Anmerkungen notiert hatte. Anscheinend tatsächlich unrelevant. Eine Seite zog
allerdings seine Aufmerksamkeit besonders auf sich. Verschiedene Namen standen
quer verteilt auf dem Papier geschrieben und von jedem Namen ging ein Pfeil zu
einem anderen. Von Marten Feddersen zu Ion Boret, von Carsten Schmidt zu
Serghei Oprea und von Mona Hansen zu Mariana Constantinov. Er blätterte ratlos
in dem kleinen Büchlein hin und her. Was waren das für Namen? Er wählte die
Nummer des Kollegen, der für die Untersuchung der Sachen zuständig gewesen war.
Vielleicht hatte man herausfinden können, wer die Personen waren. Als jedoch
auch nach dem zehnten Klingeln nicht abgehoben wurde, legte er auf. Er würde es
später noch einmal versuchen.
    Er griff nach dem
Tagebuch. Es schien, als habe Heike Andresen, seit sie den Job an der Klinik in
Niebüll angetreten und hierher gezogen war, Tagebuch geführt. Die Eintragungen
in dem Buch mit dunkelblauem Ledereinband begannen jedenfalls mit dem
02.01.1996.

     
    Sie hatten den 130 Meter hohen Kirchturm des
Hamburger Michels zu Fuß erklommen. Nun ließen sie ihren Blick von der
Aussichtsplattform über den Hafen schweifen.
    Marlene erzählte, dass sie häufig mit Heike den Turm
bestiegen hatte. Aus dieser Höhe hatte man nicht nur einen weiten Blick,
sondern vieles, was einem sonst so groß und wichtig erschien, wurde, von hier
oben aus betrachtet, plötzlich klein und nebensächlich.
    »Sie hat oft gesagt, alles sei eine Frage der Perspektive.«
    Tom nickte. Er verstand, was Heike gemeint und Marlene damit
ausdrücken wollte. Momentan erschien es so wichtig, den Mörder zu finden, ihn
zu bestrafen. Die Wut über das, was geschehen war, machte einen blind für die
Realität. Heike war tot. Selbst wenn der Mörder gefasst war, würde sie nicht
wieder lebendig werden. Das Leben ging ohne sie weiter und Marlene musste damit
klarkommen.
    Er legte seinen Arm um ihre Schultern und sie blickten in die
untergehende Herbstsonne. Alles um sie herum schien plötzlich so friedlich. Sie
kuschelte sich in seinen Arm und fühlte sich geborgen. Am liebsten hätte sie
die Zeit einfach angehalten. Doch das ging nun mal nicht.
    Sie fuhren wieder die Elbchaussee entlang. Marlene wies Tom
den Weg und bat ihn, an einer Toreinfahrt abzubiegen. Das Anwesen, welches sich
hinter dem Tor erstreckte, war gigantisch. Er konnte sich ein leises Pfeifen
nicht verkneifen.
    Der Kies knirschte unter den Rädern, vor dem riesigen
Hauptportal stoppte er den Wagen. Die Haustür wurde geöffnet und ein Mann in
dunklem Anzug kam die breite Treppe hinuntergeeilt. Er warf einen verwunderten
Blick hinüber zu Marlene, doch sie war bereits ausgestiegen und winkte dem Mann
abwehrend entgegen. Es war ihr wohl unangenehm, wie und wo ihre Familie lebte.
    Als sie die Eingangshalle betraten, kam ihnen Marlenes Mutter
entgegen. Sie war gepflegt gekleidet, makellos geschminkt und ihre blonden
Haare adrett frisiert.
    »Kindchen!«
    Sie streckte ihre Arme aus und küsste ihre Tochter jeweils
links und rechts auf die Wange, schob sie dann ein Stück von sich weg, um sie
zu betrachten. Beinahe gleichzeitig fiel ihr Blick auf Tom. Sie musterte ihn
von oben bis unten. Er konnte nicht einschätzen, was wohl ihr erstes Urteil
über ihn ergeben hatte.
    »Willst du uns nicht vorstellen, Liebchen?«
    Marlene schaute unsicher zu Tom.
    Ihre Mutter ist ihr peinlich, dachte er und ergriff selbst
die Initiative.
    »Mein Name ist Tom Meissner.«
    Er reichte ihr die Hand und lächelte.
    Ihr Händedruck war kräftig, sie erwiderte sein Lächeln.
    »Angenehm, Gesine Liebig.«
    Er wunderte sich zunächst über den Nachnamen, geriet dann
aber ins Grübeln, woher er diesen Namen kannte.
    Sie führte sie in einen der

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