Nordmord
erinnerte sich, einmal gelesen zu
haben, dass friesische Frauen angeblich irgendwelche Gegner mit heißer Grütze
in die Flucht geschlagen hatten. Aber das war momentan nicht wichtig.
21
Sie erreichten Hamburg um die Mittagszeit.
Marlene äußerte den Wunsch, zuerst einen Spaziergang zu machen. Tom wunderte
sich, dass sie nicht gleich zu ihren Eltern wollte. Es war immerhin schon ein
paar Wochen her, dass sie in Hamburg gewesen war.
Er hatte ihre Eltern noch nicht kennengelernt. Sie hatte
bisher immer eine Ausrede gehabt, hielt den Zeitpunkt wahrscheinlich für zu
früh, hatte er gedacht, obwohl es ihn ein wenig gekränkt hatte. Nun war er
natürlich umso gespannter darauf, ihrer Familie endlich einmal zu begegnen.
Sie hingegen hatte es nicht eilig und bat ihn, an der
Elbchaussee zu parken und eine kleine Wanderung durch den Jenisch-Park mit ihr
zu unternehmen. Mit forschen Schritten rannte sie geradezu durch den Park,
hinauf zu der kleinen Anhöhe, auf welcher das Haus des ehemaligen Senators der
Stadt stand.
»Komm, lass uns hier eine Kleinigkeit essen.«
Sie ging voran in das Haus, in welchem neben einem Museum
auch ein kleines Café eingerichtet war. Ein namhaftes Hotel war hier der
Pächter und bot Köstlichkeiten für den kleinen Hunger an.
Sie wählten einen Tisch am Fenster.
»Willst du noch etwas sehen? Soll ich dir noch etwas in
Hamburg zeigen? Vielleicht den Michel oder die Reeperbahn?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich denke, deine Eltern werden auf uns warten.«
Sie erklärte, dass ihre Eltern meist erst sehr spät abends
nach Hause kamen. Ihr Vater hätte immer viel zu tun. Vor dem Abendessen
brauchten sie gar nicht dort zu erscheinen.
»Aber ist denn dein Vater nicht bereits Rentner?«
Ihm wurde deutlich, dass er nicht allzu viel von ihrer
Familie wusste. Sie sprach nicht gerne darüber. Einmal hatte er sie direkt
gefragt, warum nicht, doch sie war ihm ausgewichen. Wie jetzt auch.
»Ich hätte Lust, mal wieder auf den Michel zu steigen.«
Kommissar Thamsen war nach dem Besuch bei Tom
und Marlene zunächst in die Polizeidienststelle und anschließend nach Husum
gefahren.
Die Verkäuferin in dem Lederwarengeschäft hatte zwar die
Handschuhe wiedererkannt, aber keine Auskünfte über den Käufer geben können.
»Wissen Sie, diese Handschuhe habe ich in den letzten Wochen
ein paar Dutzend Mal verkauft.«
Ob ihr denn jemand verdächtig vorgekommen oder ihr etwas
aufgefallen sei? Sie hatte nur den Kopf geschüttelt.
Nach dem erfolglosen Gespräch in dem Geschäft in der
Norderstraße hatte er nochmals die Anwohner in der Straße befragt, wo man Heike
Andresens Auto gefunden hatte und der anonyme Anrufer sie mit dem fremden Mann
gesehen haben wollte. Aber auch diesmal ergaben die Ermittlungen keine neuen
Hinweise. Keiner hatte etwas gesehen oder gehört.
Nun saß er in seinem Büro und blätterte in der Akte. Er
konnte sich nicht vorstellen, dass es überhaupt keine Hinweise, keinen
Anhaltspunkt gab. Sie mussten etwas übersehen haben. Er betrachtete wieder und
wieder die Bilder der Toten.
Ein Kollege betrat das Büro und stellte einen Pappkarton auf
seinen Schreibtisch.
»Das sind einige der Sachen aus der Wohnung. Die
Spurensicherung ist fertig damit.«
Dirk Thamsen warf einen
Blick in den Karton. Ein paar Ansichtskarten, Rechnungen, ein Kalender, ein
Tagebuch und das Foto des Jungen, welches ihm schon bei der ersten
Hausdurchsuchung aufgefallen war. Er fragte, ob man denn etwas Interessantes
gefunden hätte, doch der Kollege schüttelte nur bedauernd den Kopf. Allerdings
war er sich nicht ganz sicher, wie intensiv alles untersucht worden war. Er
wusste nur, dass man nach Fingerabdrücken oder Faserresten gesucht hatte.
Das konnte der Kommissar allerdings selber sehen. Auf den
Sachen befanden sich noch die Überreste des Aluminiumpulvers.
»Und das Tagebuch?«
Der andere zuckte mit den Schultern.
»Die Kollegen haben es gelesen, aber soweit ich weiß, keine
Anhaltspunkte gefunden.«
Thamsen wunderte sich. Normalerweise fanden sich
in Tagebüchern doch die konkretesten Hinweise. Das lernte man bereits auf der
Polizeischule. Was jedoch weder er noch sein Gegenüber wussten: Das Tagebuch
war zwar wie die anderen Sachen aus Heike Andresens Wohnung auf Spuren
untersucht worden, aber der Kollege, der es eigentlich hätte durcharbeiten
sollen, war plötzlich krank geworden und so war es ungelesen wieder in den
Karton gewandert,
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