Nordmord
neugierig verfolgten. Mühsam zog er den Mann auf die Beine,
lehnte ihn gegen den Tresen. An seinem Blick erkannte er, dass Dirk Thamsen
großen Kummer hatte. Er war total betrunken und kaum in der Lage, sich auf den
Beinen zu halten. Gefährlich schwankte er hin und her, schaute ihn mit
ausdruckslosem Blick an.
Marlene stand plötzlich neben dem Kommissar, fasste ihn am
linken Arm.
»Kommen Sie, wir bringen Sie nach Hause.«
Tom wollte bezahlen, doch der Wirt winkte ab.
»Das kann Dirk nächstes Mal tun!«
Er nannte noch die Adresse, während sie krampfhaft
versuchten, ihn zwischen sich aufrecht zu halten. Langsam zerrten sie ihn in
Richtung Ausgang.
Draußen atmete Marlene tief durch und auch dem Kommissar
schien die frische Luft gutzutun. Langsam kam er wieder zu sich.
»Geht schon, geht schon. Sie brauchen mir nicht mehr zu
helfen«, murmelte er einigermaßen deutlich, doch als sie ihn losließen,
stolperte er und fiel der Länge nach auf die Straße.
Sie beeilten sich, ihn aufzuheben, benutzten die Hauswand als
Stütze. Tom rannte los und holte den Wagen. Mit vereinten Kräften schafften sie
es, den Betrunkenen ins Auto zu befördern.
In einem der Wohnblöcke unweit der Badewehle lag Thamsens
Wohnung. In seiner Jackentasche fanden sie den Haustürschlüssel.
Fürsorglich deckte Marlene ihn mit einer Wolldecke auf dem
Sofa zu.
»Schlafen Sie gut.«
Der Kommissar grunzte leicht im Schlaf, als sie die
Wohnungstür hinter sich zuzogen.
20
Sein Kopf dröhnte. Stöhnend griff er sich an die
Stirn, öffnete langsam die Augen. Das grelle Licht schmerzte. Mühsam stand er
auf, sein Magen rebellierte, in seiner Mundhöhle breitete sich ein säuerlicher
Geschmack aus.
Im Badezimmer lehnte er sich an das Waschbecken, betrachtete
sein Gesicht im Spiegel. Er sah entsetzlich aus. Gerötete Augen, blass und
ausgemergelt. Er fühlte sich alt und schrecklich müde. Aus dem Spiegelschrank
nahm er eine Kopfschmerztablette, spülte sie mit etwas Wasser hinunter.
Was war geschehen? Er
versuchte, den gestrigen Abend zu rekonstruieren, und erinnerte sich an den
Streit mit seiner Exfrau, die vielen Gläser Bier und Ouzo und an das junge
Paar, das ihn nach Hause gebracht hatte. Ihm wurde plötzlich ganz warm und er
begann, zu schwitzen. Es war ihm furchtbar unangenehm, dass man ihn in diesem
Zustand gesehen hatte. Was mussten sie jetzt nur über ihn denken? Gescheiterte
Existenz? Völlig überfordert? Unqualifiziert, einen solchen Fall zu lösen? Es
drängte ihn, das Bild möglichst schnell wieder zurechtzurücken.
Er duschte und zog sich frische Sachen an. Als er vor die
Haustür trat, fiel ihm ein, dass sein Auto noch vor dem Restaurant stehen
musste. Kurz überlegte er, einen ausgedehnten Spaziergang zu machen. Die
frische Luft würde ihm sicher guttun. Nach einem Blick auf die Uhr bestellte er
sich allerdings ein Taxi.
Marlene öffnete die Tür. Überrascht blickte sie
ihn an. Er schaute schnell zu Boden, wusste nicht, was er sagen sollte.
»Ich wollte mich bei Ihnen bedanken«, stammelte er.
Ihr Mund verzog sich zu einem winzigen Lächeln.
»Möchten Sie vielleicht mit uns frühstücken?«
Er folgte ihr den Flur entlang in die Küche. Tom saß am
Frühstückstisch und blätterte in der Zeitung. Als er ihn jedoch sah, stand er
auf, begrüßte ihn freundlich und holte wie selbstverständlich einen weiteren
Kaffeebecher aus dem Schrank.
Die schwarze Flüssigkeit roch herrlich. Er liebte diesen
Geruch, der so geheimnisvoll nach fernen Ländern und anderen exotischen Aromen
duftete. Kaffee war für ihn wie eine Droge. Er brauchte ihn, gierte morgens
geradezu danach. Ohne Kaffee konnte er nicht denken, nicht reden, nicht sein.
Er nippte an seinem Becher.
»Ich wollte mich übrigens für gestern Abend bedanken. Und
entschuldigen. Nicht, dass Sie denken …«
Tom winkte bereits ab.
»Jeder hat mal Kummer. Solange Sie nicht im Dienst sind.«
Kommissar Thamsen lächelte etwas verkniffen, obwohl er
erleichtert war. Marlene blickte Tom vorwurfsvoll an und versuchte, das Thema
zu wechseln.
»Gibt es denn schon neue Erkenntnisse? Haben Sie etwas
herausgefunden?«
Er schüttelte bedauernd seinen Kopf. Er war noch nicht
wirklich weitergekommen mit seinen Ermittlungen und er hatte auch das Gefühl,
als würde er auf der Stelle treten oder sich im Kreis bewegen. Ein mysteriöser
Anruf, die Sachen der Ermordeten, ein Paar Handschuhe, ein durchbrochenes
Siegel. Immer wieder
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