Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
einen Wirrkopf in Rage bringen konnte. Malins Texte waren jedoch nicht im Geringsten kontrovers, und das bisschen Kritik, das sie in aller Bescheidenheit äußerte, galt nicht näher bezeichneten Gruppen von »Fleischproduzenten« oder »der globalen Nahrungsmittelindustrie«.
Die Kommentare las er besonders sorgfältig. In diesem Unterholz pflegte sich häufig der ein oder andere Verrückte zu verstecken. Es gab auch tatsächlich einige Einträge, die Malin in etwas schärferem Ton dazu aufforderten, einen anderen Beruf zu ergreifen. Jemand stellte verbittert fest, gutes Aussehen sei anscheinend wichtiger als solide Kochkünste. Doch bei keiner dieser Bemerkungen klingelten Fredriks Alarmglocken.
Er nahm sich den Sommer vor und überflog rasch die Einträge der vergangenen Monate. Malin schrieb nicht nur übers Kochen, sondern gab auch Privates preis. Wer bei Malin und Henrik zum Abendessen eingeladen gewesen war, wo sie die Köstlichkeiten aus ihrem Picknickkorb verspeist hatten und in welche Restaurants sie gegangen waren. Manchmal schrieb sie auch über ihre Pläne, etwa dass sie sich auf einen Kneipenbesuch freute oder in Visby nach Trüffelöl suchen wollte und so weiter. Und dazu strahlte dem Leser die ganze Zeit über Malins breites Lächeln entgegen.
Seit dem Samstag gab es keine privaten Mitteilungen mehr. Keine Orte, Daten oder Namen. Klug von ihr, dachte Fredrik. Bis jetzt war das Blog eine Goldgrube für denjenigen gewesen, der Malin Andersson im Blick behalten wollte.
Ninni hatte es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und sah die Realityshow des Abends. Fredrik war überzeugt davon, dass sie von diesen Sendungen vollkommen abhängig war. Vielleicht stimmte das auch. Dabei interessierte sie eigentlich gar nicht, wie es weiterging, wer gewann und wer rausflog. Es ging ihr nur um die vorübergehende emotionale Beteiligung, die keine tiefere Reflexion erforderte. Genau das wollte sie. Sie konnte nicht ausschließen, dass eine CD mit Vogelgezwitscher und einer ruhigen Stimme, die Sachen sagte wie: »Dein Körper ist ganz schwer. Du bist vollkommen entspannt. Du siehst eine blühende Wiese. Du fühlst dich friedlich und ausgeglichen«, nicht den gleichen Effekt gehabt hätte.
Sie wünschte, Fredrik könnte das auch. Er müsste ja nicht unbedingt Realityshows ansehen oder Meditations-CDs hören, aber irgendeine Art von Entspannung würde ihm nach der Arbeit guttun. Sie konnte nachvollziehen, dass es nicht einfach war. Jemand hatte ein kleines Mädchen entführt, und er musste herausfinden, wer das getan hatte. Von so einer Aufgabe konnte man nicht einfach zu einem bestimmten Zeitpunkt abschalten. Aber trotzdem. Er war nicht allein mit dieser Last, und das Mädchen war ja wieder da. Außerdem war Ninni sicher, dass niemand von ihm verlangt hatte, sich den ganzen Abend durch das Blog der Mutter zu klicken.
Sie griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. Die Sendung schien heute Abend nicht zu wirken. Es pustete ihr nicht wie sonst den Kopf frei.
Zwei Jahre waren seit dem Unfall vergangen. Das erste Jahr war schwer gewesen, das zweite leicht. Keine ihrer Befürchtungen hatte sich bewahrheitet. Schritt für Schritt war wieder Normalität in ihr Leben eingekehrt. Vielleicht war es das, was sie belastete. Dass der Alltag sie wieder im Griff hatte.
Lange Zeit war sie schon allein deshalb glücklich gewesen, weil das Unglück, auf das sie sich gefasst gemacht hatte, ausblieb. Als sie ihn zum ersten Mal im Krankenhaus besuchte und Fredrik da reglos und mit leerem Blick liegen sah, war sie hundertprozentig überzeugt davon, dass sie damit nicht fertig werden würde. Sie war nach Gotland zurückgefahren, ziellos mit dem Auto durch die Gegend gebraust, hatte geweint und geschrien und mit Gegenständen um sich geworfen. Sie hatte an die Kinder gedacht, die zwar einen Vater hatten, aber trotzdem ohne ihn aufwachsen mussten, und sie hatte sich vorgestellt, wie sie einen erwachsenen Mann mit Babybrei fütterte, sich sein zurückgebliebenes Gebrabbel anhörte und sich einzureden versuchte, dass sie ihn liebte.
Wahrlich keine schönen Gedanken, aber sie blieben ihr nicht erspart. Sie hatte nicht einmal versucht, den Anschein zu erwecken, sie wäre ein besserer Mensch, als sie tatsächlich war. Jedenfalls nicht sich selbst gegenüber. Nachdem ihr klar geworden war, dass es nicht so schlimm werden würde, wie sie es sich ausgemalt hatte, wurde es leichter. Aber für Überlegungen, mit denen sie sich
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