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Nordwind: Kriminalroman (German Edition)

Nordwind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Nordwind: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Östlundh
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die Türen offen stehen, damit Axel und Ellen wenigstens etwas frische Luft bekamen.
    »Ich hatte gehofft, ich könnte hier ins Wasser springen, aber das da sieht ja nicht so vielversprechend aus.« Maria zeigte auf die andere Seite des Sundes.
    Über der Hauptinsel herrschte strahlender Sonnenschein, aber über Fårö hing eine düstere Wolkendecke, die an dunkelgraue Schlagsahne auf magerem Tortenboden erinnerte.
    »Ich glaube, das wird weggeweht. Im Osten reißt es schon wieder auf.« Malin deutete mit ausgestreckter Hand zum Himmel.
    Maria lachte. »Zwei Jahre auf der Insel, und schon kannst du das Wetter vorhersagen.«
    Sie fasste Malin an den Schultern und küsste sie auf die Wange.
    »Allerdings«, erwiderte die. »Ich habe eine Menge gelernt. Wenn man auf einer so kleinen Insel mitten im Nichts lebt, muss man das auch. Ich glaube, wir können nachher baden.«
    »Hoffentlich hast du recht.«
    Wummernd kam die Fähre über den Sund, und wenig später waren sie an Bord. In Bezug auf die Fähre hatten die Kinder eine unheimliche Geduld entwickelt. Das war anfangs nicht so gewesen. Da waren nicht nur die beiden, sondern auch Malin auf ihren Sitzen von einer Pobacke auf die andere gerutscht, als wären die vielen Viertelstunden vor einem Schlagbaum an einem trostlosen Kai ein Weltuntergang. Nun gehörten sie ganz selbstverständlich zu ihren Lebensumständen, so unspektakulär wie die Wartezeit auf dem U-Bahnhof, eine Atempause, in der man die Zeitung durchblättern oder einen Einkaufszettel schreiben konnte. Außerdem waren ihnen die Abfahrtszeiten inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen.
    Als sie zu Hause in Kalbjerga ankamen, fiel Maria Henrik wie üblich um den Hals. Sie hatten einander schon immer gemocht. Maria hielt Henrik für einen Hauptgewinn, und Malin war froh darüber. Sie hing so an ihrer Schwester, dass es eine Katastrophe gewesen wäre, wenn Maria ihren Mann nicht hätte leiden können.
    Maria bekam das ganze Esszimmer für sich allein. Im Sommer wurde es sowieso fast nie benutzt. Im Winter konnte es unten im Wohnzimmer etwas kalt werden. Dann schleppten sie den Fernseher ins Esszimmer und hielten sich bis Ostern dort auf.
    Genau wie Malin vorausgesagt hatte, verzog sich die dunkle Wolkendecke bald. Außer Henrik, der seine Reise vorbereiten musste, setzten sich alle wieder ins Auto und machten sich auf den Weg zum Strand.
    »Ich liebe diesen Ort«, erklärte Maria, als sie in Flipflops, die sie sich ausgeliehen hatte, in der glitzernden und einsamen Bucht stand.
    »Ich auch«, antwortete Malin.
    Malin kam oft mit dem Fahrrad hierher, mit den Kindern oder allein, setzte sich an den Strand und blickte aufs Meer. Nach einigen Minuten in der Stille und mit dem meditativen Glucksen der Wellen im Ohr bekam man leicht das Gefühl, der einzige Mensch auf der Welt zu sein. Es war aber nicht so beängstigend, wie wenn man weit weg von der Zivilisation und vom nächsten Nachbarn nachts allein im Dunkeln war. Das hier war etwas vollkommen anderes. Hier gab es keine Zivilisation. An einem angenehmen, sonnigen Tag wie diesem war sie der erste Mensch. Es gab nur sie, die Sonne, das Meer und vielleicht Gott. Zeit existierte nicht. Nur Ewigkeit.
    An einem wolkenverhangenen und windigen Tag dagegen konnten die steinigen Strände hart und abweisend wirken wie Asche. Das Meer war dann dunkel und bedrohlich. Ein Tiefdruckgebiet konnte die Szenerie von einem Tag auf den anderen von der Schöpfungsgeschichte zur Offenbarung verwandeln. Dann war sie der letzte Mensch auf Erden, und die Ewigkeit war vorüber. Wenn sie nur daran dachte, bekam sie schon einen Kloß im Hals. Bald würde es nur noch Steine, Eis und Dunkelheit geben. Keine Sonne. Kein Leben. Keinen Gott. Aber noch war die Landschaft schön.
    Sie betrachtete Maria, die neben ihr stand. Sie sahen sich lächerlich ähnlich. Wenn sie Badeanzüge trugen, fiel es noch mehr auf. Ihre Körper waren fast identisch, und sie waren fast gleich groß, lediglich zwei Zentimeter trennten sie, zu Marias Vorteil. Henrik sagte immer, dass ihr Blick nahezu gleich sei, auch wenn Malins Gesicht einen Tick runder war. Sie hatte nicht die hohen Wangenknochen von Maria, die deren Blick eine besondere Schärfe verliehen, da konnte Henrik sagen, was er wollte. Der größte Unterschied zwischen ihnen war jedoch die Haarfarbe. Maria war hellblond, und Malins Haar war dunkelbraun, fast schwarz.
    Sie folgten den Kindern ans Wasser. Maria schüttelte die Flipflops ab und hielt einen

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