Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
damit verwirrt? Möglicherweise hatte sie alles kaputt gemacht. Es konnte schließlich sein, dass Ellen die Frau wiedererkannte, aber durch Malins Gerede über Haarfarben nun verunsichert war. Sollte sie Sara von dem Gespräch erzählen?
Sie fragte sich, was in diesem Moment wohl in Ellens Kopf vorging. Was sah sie in den Augen der blonden Frau? In der Scheibe konnte sie eine leichte Spiegelung von Ellens Augen erkennen, die sich ruckartig zwischen den sechs Personen hin und her bewegten.
Sie bereute, dass sie sich darauf eingelassen hatte. Dabei hatte sie es selbst gewollt, hatte Sara Oskarsson sogar dazu gedrängt, nachdem die Polizistin von der Möglichkeit einer Gegenüberstellung gesprochen hatte. Sara hatte jedoch betont, dass Gegenüberstellungen nur auf freiwilliger Basis stattfanden.
Ellen flüsterte etwas, das sie nicht verstehen konnte. Sara Oskarsson beugte sich zu ihr hinunter.
»Was hast du gesagt?«
»Ich weiß nicht«, wisperte das Mädchen.
Malin hörte ihrer Stimme an, dass sie den Tränen nah war.
»Das macht nichts«, sagte Sara zu Ellen. »Wenn du keine dieser Frauen wiedererkennst, ist es auch gut. Dann sagst du es einfach. Du musst hier niemanden wiedererkennen. Verstehst du das?«
Ellen sah Sara an, gab aber keine Antwort. So stand sie eine Weile da, dann warf sie hastig einen Blick auf die sechs Frauen.
»Ellen«, sagte Malin sanft, »meinst du damit, dass du dir nicht sicher bist, oder war es keine von diesen Frauen?«
»Ich weiß es nicht«, jetzt heulte sie und warf sich in Malins Arme.
Malin ging in die Hocke und hielt ihre Tochter fest umarmt. Sie hasste sich selbst, weil sie sich auf diese Sache eingelassen hatte. Es gab doch andere Möglichkeiten, um Gottes willen. Konnten sie nicht überprüfen, ob sich auf dem Beifahrersitz von Stina Hansson Ellens DNA nachweisen ließ? So etwas war doch heutzutage kinderleicht. Sie würde Fredrik Broman später anrufen und ihn fragen. Im Moment wollte sie nichts davon sagen. Nicht, solange Ellen dabei war.
Sie hob den Blick und betrachtete ein letztes Mal die blonde Frau, bevor Sara Oskarsson den Vorhang zuzog.
33
Nachdem sie Maria in Visby vom Schiff aus Nynäshamn abgeholt hatten, mussten sie in Fårösund fast zwanzig Minuten auf die Fähre warten. Aber das ließ sich nicht ändern. Maria hatte den Kindern Geschenke mitgebracht und sie ihnen im Auto sofort überreicht. Ein Bilderbuch für Axel und ein Tagebuch für Ellen.
»Du kannst doch schon schreiben, und da dachte ich mir, vielleicht willst du mal versuchen, ein Tagebuch zu führen? Ich habe in deinem Alter damit angefangen.«
Na ja, dachte Malin, das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber sie schwieg. Ihr Verhältnis war frei von Sticheleien und Angeberei. Nie hatte sie das Gefühl gehabt, mit ihrer Schwester konkurrieren zu müssen. Das war beinahe merkwürdig. Viele ihrer Freundinnen beschwerten sich bitter über ihre Geschwister. Sie schienen sich noch als Erwachsene ständig um die Aufmerksamkeit der Eltern zu balgen. Von den tränenreichen Auseinandersetzungen um einen windschiefen Eichentisch, den die Eltern in bester Absicht verschenken wollen, ganz zu schweigen.
»Ich bin so froh, dass du da bist«, sagte sie zu Maria, während sie in dem stickigen Auto warteten.
Sie löste den Sicherheitsgurt und kurbelte die Scheibe herunter. Am Fähranleger war es vollkommen ruhig, und kein Mensch war zu sehen. Malins Honda wartet als einziger Wagen vor dem Schlagbaum. Die Fähre hatte noch nicht einmal in Broa abgelegt, und die Wasseroberfläche im Sund war so gut wie reglos.
Maria beugte sich zu ihr hinüber und flüsterte: »Ellen scheint es doch gut zu gehen.«
Malin warf einen Blick auf ihre Tochter, die auf der Rückbank saß. Sie las Axels neues Buch, während er Männchen in ihr neues Tagebuch malte.
»Ja«, hauchte sie zurück, »ich glaube, sie hat gar nicht richtig kapiert, was passiert ist. Das ist vielleicht auch gut so.«
Maria nickte und fächelte sich Luft zu.
»Sollen wir kurz aussteigen?«, fragte Malin. »Es ist wirklich heiß hier drinnen.«
Sie öffneten die Türen und stiegen aus dem Wagen. Als sie die Kinder fragten, ob sie mitkommen wollten, schüttelten die nur die Köpfe. Während der Sommersaison war die Warteschlange am Fährhafen immer eine günstige Gelegenheit, sich ein Eis oder eine Süßigkeit zu erbetteln, aber Ende August waren der Kiosk und die Souvenirläden in den alten Fischerhütten bereits verrammelt und verriegelt. Malin ließ
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