Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
ihr keine Hausaufgaben?«
»Nein!«, schrie Simon, als sich auf dem Bildschirm ein roter Halbkreis zeigte.
Er war getroffen worden und hatte an Kraft verloren. War der Kreis komplett, starb man. Jetzt verblasste die Figur lediglich.
»Du hast mir nicht geantwortet«, sagte Fredrik.
»Nein. Oder doch, aber ich habe sie schon gemacht.«
»Was ist denn das Thema?«
»Marie Curie«, erwiderte Simon.
»Das hört sich nicht gerade nach einem großen Projekt an.«
»Es geht um Frauen in der Geschichte. Ich mache Marie Curie.«
Simon klang gereizt. Er hämmerte auf die Tastatur ein. Fredrik konnte nicht genau erkennen, ob er sich über die Störung oder über den Verlauf des Spiels ärgerte.
»Sag Bescheid, falls du Hilfe brauchst.«
Im Vergleich zur Verteidigung von Bastogne schnitten seine lahmen Fragen nach den Hausaufgaben nicht gut ab. Fredrik hatte jedoch stark den Eindruck, dass er gegen diese Spiele in jedem Fall machtlos wäre, egal, was er zu bieten hatte.
»Du«, sagte er noch, »ich müsste mal ins Internet. Könntest du dir eventuell vorstellen, mal eine Pause einzulegen?«
Simon atmete tief ein, verkniff sich jedoch das Seufzen. »Klar«, antwortete er überraschend freundlich. »Nur noch fünf Minuten.«
Es dauerte eher fünfzehn Minuten, doch schließlich gelang es Fredrik, sich den Internetanschluss der Familie zu erobern. Auf der Webseite »Malins Essen«, zu der man über die Homepage von Coop gelangte, war Malin Andersson in ihrer Küche in Kalbjerga zu sehen. Sie stand lächelnd hinter einem Marmortischchen, das mit Obst, Gemüse und einer äußerst dekorativen Olivenöldose aus Griechenland beladen war. Auf der Arbeitsplatte im Hintergrund waren ein großer Brotlaib und ein paar Flaschen Rotwein zu erkennen.
Fredrik war schon einmal auf der Seite gewesen, hatte sich aber nur schnell einen Eindruck von dem verschafft, womit Malin sich beschäftigte. Nun nahm er das Blog genauer in Augenschein. Er klickte sich durch das Verzeichnis der Rezepte. Viele waren vereinfachte Versionen von bekannten Gerichten vor allem aus der französischen und italienischen Küche, und hin und wieder war auch schwedische Hausmannskost dabei.
Fredrik klickte weiter. Verwundert stellte er fest, dass der jüngste Eintrag erst vor wenigen Stunden veröffentlicht worden war. Es ging um ein Rezept für eingelegte Gurken, die ein selbstverständlicher Bestandteil von vielen asiatischen Gerichten waren, aber auch einem Elchbraten mit Rahmsauce und Wildpreiselbeeren überraschenden Pfiff verleihen konnten. Der Text war zwar nicht lang, aber Fredrik konnte trotzdem nur schwer nachvollziehen, wie sie sich nach dem, was heute passiert war, in Ruhe hinsetzen und etwas über Gurken schreiben konnte. Er schätzte, dass professionelle Blogger auf einen Vorrat von etwas allgemeiner gehaltenen Einträgen zurückgriffen, wenn die Zeit knapp war. Oder wenn die eigene Tochter gekidnappt worden war.
Er hörte Schritte. Ninni blieb hinter ihm stehen und legte ihm die Hände auf die Schultern.
»Planst du das Abendessen für morgen?«, wollte sie wissen.
Im Bruchteil einer Sekunde schoss ihm die Möglichkeit durch den Kopf, sie anzulügen, doch dann sagte er die Wahrheit. »Nein, das ist Arbeit. Es hängt mit dem entführten Mädchen zusammen.«
Er zeigte auf den Bildschirm.
»Das ist das Blog ihrer Mutter.«
Er beugte den Kopf nach hinten und sah Ninni an.
»Wahrscheinlich sollte ich mich jetzt nicht damit beschäftigen, aber …«
Ninni machte ein skeptisches Gesicht.
»Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich hier etwas Leckeres finde«, sagte er. »Es gibt eine Menge Rezepte.«
»Okay.« Lächelnd strich sie ihm über den Nacken. »Mach nur nicht so lange.«
Er hörte sie im Wohnzimmer verschwinden und versuchte, das schlechte Gewissen zu ignorieren, das sich wie ein kleines Gewicht zwischen seinen Schulterblättern bemerkbar machte.
Pflichtbewusst klickte er die Desserts an, suchte aufs Geratewohl herum und blieb bei einer Birnentarte mit Gorgonzola hängen. Malin Andersson schlug vor, nein, sie verlangte geradezu, dass man dazu ein Glas von dem portugiesischen Dessertwein Moscatel du Sétubal trank. Das klang nicht übel. Er lud sich das Rezept herunter und widmete sich wieder dem Blog.
Fredrik begann mit den Einträgen aus dem Frühjahr, den Monaten vor der Vermietung des Hauses. Er hoffte, eine Provokation zu entdecken, eine ätzende Bemerkung über eine Kollegin, eine vernichtende Restaurantkritik, irgendetwas, das
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