Nore Brand 03 - Racheläuten
schockiert von Schmieds Ausbruch.
Es blieb still. Keiner machte Anstalten.
Einer Katastrophe hatte man auch gar nichts beizufügen.
Und wenn man nichts mehr beizufügen hatte, musste man handeln.
Aber das konnte hier keiner mehr.
Max Lebeau schloss die Augen. Es war nicht zum Aushalten. Er stieß seinen Sessel zurück, schnellte hoch und riss das Fenster auf. Die Abkühlung brachte ihn zur Besinnung.
Forster schaute ihn dankbar an, dann wandte er sich an alle. »Ich bin überzeugt, dass sich jeder von uns seiner enormen Verantwortung bewusst ist. Die Lage war noch nie so ernst. Und vielleicht denken wir alle über die Worte des Inhabers nach, schließlich hat er die Firma zu großem Erfolg geführt.« Er machte eine kurze Pause. »Es muss doch eine Möglichkeit geben, weiterzumachen! Man hat uns überrundet, zugegeben. Asien hat die Nase vorn in unserem Geschäft. Vielleicht müssen wir uns neu orientieren, auf ein anderes Produkt setzen. Es muss doch eine Marktlücke geben! Uns fehlt nichts als ein zündender Gedanke!«
Forster setzte sich schweißnass und erschöpft hin. Wieder folgte diese unerträgliche Stille. Eine Fliege flog in großer Verzweiflung unablässig gegen die Fensterscheibe.
Max Lebeau schaute auf seinen Schreibblock. Nichts als ein zündender Gedanke, hatte Forster gesagt.
Da hob er seine Hand.
Oskar Schmied schaute ihn verwundert an und warf einen Blick auf seinen Schreibblock.
Er stieß ihn an. »Lebeau, was soll das? Was machen Sie da? Wer hebt denn da die Hand? Wir sind doch nicht in der Schule! Los! Reden Sie endlich!«
Und Max Lebeau hörte sich reden. Er sah Katrin vor sich. »Du Fantast!«, hatte sie gesagt und gelacht.
Vielleicht war seine Idee völlig verrückt, schlimmer noch: kindisch. Und doch? Wenn nichts mehr war? Wenn man wieder ganz am Anfang stand, mit leeren Händen, dann war es vielleicht doch etwas.
Da brach aus ihm heraus, und das vor seinen Kollegen, vor der Geschäftsleitung, was ihn in den vergangenen Jahren umgetrieben hatte.
Er spürte die neugierigen Blicke der Kollegen, ihr ungläubiges Staunen und ihren unverhohlenen Spott nicht.
Max Lebeau redete wie in Trance.
Nur Oskar Schmied hatte sich vor ihn gebeugt, die Hand trichterförmig hinter dem guten Ohr. Er versuchte, seinen Gedanken zu folgen.
Als Lebeau schwieg, war ihm schwindlig.
Diese Männer, die zunächst ungläubig, spöttisch, und dann auf einmal interessiert, ja sogar begierig zugehört hatten, wichen seinem Blick aus, indem sie vor sich hinstarrten. Einige suchten die Augen von Kollegen.
Was war von dieser Sache zu halten? Blanker Unsinn? Oder war es etwa genial?
Max Lebeau hatte sie alle überrascht.
Ja, was war denn davon zu halten?
Keiner regte sich, bis Oskar Schmied die angespannte Stille mit einem erleichterten Seufzer erlöste. »So, das nenne ich eine Vision! Lebeau, das gibt es nur einmal im Leben. Ich gratuliere dir.« Er schaute seine Männer an, einen nach dem anderen. »Ich würde sagen, wir sind gerettet.«
Lebeau konnte sich nicht erinnern, ob irgendeiner in der Runde dieses Kompliment von Schmied nachgedoppelt hatte.
Da hatte einer eben seine Seele und seine ganze Leidenschaft auf den Tisch gelegt, doch, doch, eine Sache, die sich erwägen ließ, aber die meisten beschlossen, unverzüglich die Maske der Ungerührten und Unbeeindruckten über ihr Gesicht zu schieben.
Außer Oskar Schmied hatte ihm keiner nach der Sitzung auf den Rücken geklopft. Man wich ihm aus. Es seien interessante Gedanken geäußert worden, jeder hätte seinen Beitrag geleistet, man könne nun ein neues Ziel anvisieren, fasste Forster zusammen. Das war’s.
Nach der Sitzung taumelte Max Lebeau in die Toilette. Er fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Er drehte den Wasserhahn auf und bespritzte sein Gesicht mit eiskaltem Wasser. Er schaute sich kurz im Spiegel an und musste sich gleich abwenden. Was hatte er da eben getan?
Er hatte sich verraten; keiner hatte ihn dazu gedrängt, er war wie im Rausch in ein offenes Messer gerannt.
Er schloss sich in seinem Büro ein. Er hatte sich völlig entblößt und schämte sich. Er hatte seinen Traum auf den Tisch gelegt, er hatte sich bis auf die Seele ausgezogen vor diesen Männern. Lebeau hatte sich aufgeführt wie ein pubertierender Fantast. Er schämte sich derart, dass er es kaum aushielt.
Aber wie er es auch drehte und wendete, er war einfach selber schuld daran.
Dass Petermann nach dieser Sitzung seine Pläne änderte und beschloss, bei der
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