Northanger Abbey
durch Garten und Obstwiese, als sei die Bewegung ein Selbstzweck; ja, es trieb sie eher durchs ganze Haus, als daß sie noch so kurz im Wohnzimmer sitzen blieb. Noch auffälliger war freilich ihre Niedergeschlagenheit; wirkte sie in ihrem Umherstreifen und ihrer Untätigkeit nur wie ein Zerrbild ihrer selbst, so schien sie in ihrer Stummheit und Bedrücktheit das Gegenteil all dessen, was sie früher gewesen war.
Zwei Tage lang sah Mrs. Morland diesem Schauspiel klaglos zu; doch als Catherine sich auch eine dritte Nacht ausgeschlafen hatte, ohne daß sich ihre alte Fröhlichkeit wiedereingestellt, ihre Anstelligkeit verbessert oder ihre Neigung zur Handarbeit zugenommen hätte, konnte sie sich folgenden sanften Tadel nicht verkneifen: »Meine liebe Catherine, ich habe das Gefühl, du wirst mir langsam zu einer arg feinen Dame. Ich weiß nicht, was aus den Halsbinden des armen Richard werden sollte, wenn er keine andere Freundin hätte als dich. Du bist zu viel in Bath mit deinen Gedanken; aber alles hat seine Zeit, Bälle und Theaterstücke und auch die Arbeit. Du hast dich lange vergnügen dürfen, jetzt mußt du versuchen, dich nützlich zu machen.«
Catherine griff schnell wieder nach ihrer Näherei und erwiderte mit hohler Stimme, sie sei mit ihren Gedanken überhaupt nicht in Bath – fast nicht.
»Dann grämst du dich wegen General Tilney, und das ist sehr töricht von dir; denn es steht zehn zu eins, daß du ihn nie wiedersiehst. Man soll sich nie wegen Nichtigkeiten grämen.« Nach einem kurzen Schweigen – »Ich hoffe, meine Catherine, du kreidest es deinem Zuhause nicht an, daß es nicht so vornehm wie Northanger ist. Dann wäre dein Besuch wahrhaftig von Übel gewesen. Du solltest zufrieden sein, wo immer du bist, ganz besonders aber zu Hause, denn dort verbringst du die meiste Zeit. Es hat mir nicht recht gefallen, dich heute morgen beim Frühstück so viel über das Weißbrot in Northanger reden zu hören.«
»An dem Brot liegt mir nichts, kein bißchen. Es ist mir völlig einerlei, was ich esse.«
»In einem von den Büchern oben steht ein sehr kluger Aufsatz zu gerade so einem Thema: junge Mädchen, denen ihr Zuhause durch zu vornehme Bekanntschaft verleidet worden ist – im
Mirror
, glaube ich. Ich suche es dir demnächst einmal heraus, denn es wird dir ganz sicher guttun.«
Catherine sagte nichts dazu und beugte sich pflichtschuldig über ihre Arbeit; doch schon nach wenigen Minuten verfiel sie, ohne es auch nur zu merken, in die gleiche stumpfe Lustlosigkeit wie zuvor, so zapplig vor lauter Schlaffheit, daß sie viel mehr in ihrem Stuhl hin und her rutschte, als daß sie die Nadel bewegte. – Mrs. Morland beobachtete das Fortschreiten dieses Zerfalls; und da ihr aus dem abwesenden, unfrohen Blick ihrer Tochter genau jener Geist der Unzufriedenheit zu sprechen schien, den sie als den Grund für Catherines trübe Laune ausgemacht zu haben meinte, lief sie eilends hinaus, um das genannte Buch zu holen, denn eine so fürchterliche sittliche Zerrüttung mußte schnellstens bekämpft werden. Es dauerte eine Weile, bis sie fündig wurde, und da noch andere Familienangelegenheiten sie aufhielten,war eine Viertelstunde vergangen, ehe sie mit dem Band, auf dem solche Hoffnungen ruhten, wieder nach unten kam. Die Geräusche, die sie selbst verursachte, waren die einzigen gewesen, die während ihrer Verrichtungen bis zu ihr gedrungen waren, und so merkte sie erst, daß sie Besuch hatten, als sie ins Zimmer trat und dort ein junger Mann saß, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Er erhob sich sofort sehr ehrerbietig, und nachdem er von ihrer verlegenen Tochter als »Mr. Henry Tilney« vorgestellt worden war, entschuldigte er sich mit all der Befangenheit echten Feingefühls für sein Auftauchen – räumte ein, daß er nach dem Vorgefallenen wohl kaum damit rechnen dürfe, in Fullerton willkommen zu sein, und nannte als einzige Rechtfertigung für seine Zudringlichkeit seine Ungeduld, sich zu vergewissern, daß Miss Morland wohlbehalten nach Hause gelangt war. Sein Appell traf indes auf keinen parteiischen Richter und auf kein verstocktes Herz. Mrs. Morland lag es fern, ihm oder seiner Schwester das Verhalten seines Vaters anzulasten; sie war von Anfang an freundlich gegen sie beide eingestellt gewesen, sein Auftreten nahm sie zusätzlich für ihn ein, und so begrüßte sie ihn mit offenherzigem, ungekünsteltem Wohlwollen: dankte ihm für die Aufmerksamkeit, die er ihrer Tochter erwies, versicherte
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