Northanger Abbey
allen ihren Wohnsitzen sehr begrenzt waren, sei es im Pfarrhaus von Steventon, wo sie ihre Kindheit und Jugend verbrachte, in Bath oder später in Chawton Cottage, wo sie nachdem Tod des Vaters mit Mutter und Schwester wohnte. Nein, so unterstreicht ihr Neffe, Austen bestand selbst darauf, trotz ihrer Arbeit ansprechbar zu sein, ihre Familienpflichten zu erfüllen und keine privilegierte Sonderrolle zu spielen. Um sicherzustellen, daß nur der engste Freundes- und Familienkreis überhaupt von ihrer schriftstellerischen Tätigkeit erfuhr, schrieb sie überdies auf kleinen Blättern, die man schnell verschwinden lassen oder mit Löschpapier bedecken konnte. Und eine knarrende Tür wurde auf ihren ausdrücklichen Wunsch nie repariert; sie diente als Warnung vor eintretenden Besuchern.
Es ist das eindrückliche Bild einer überaus beherrschten und zurückhaltenden, dabei niemals rigiden oder unnahbaren Frau, das diese und andere Erzählungen aus Austens familiärem Umfeld der Nachwelt überliefert haben. Um so bewundernswerter erscheint die Künstlerin, als geniale Begabung und perfekte Haltung nur selten Hand in Hand gehen. Man denke nur an die Art und Weise, wie einige von Austens genial begabten Zeitgenossen von sich reden machten. So wurde William Blake einer berühmten Anekdote zufolge nackt in seinem Londoner Garten gesichtet. Verse aus Miltons
Paradise Lost
rezitierend spielte er dort zusammen mit seiner Frau Adam und Eva. Samuel Taylor Coleridge und Thomas DeQuincey schrieben nicht nur große romantische Dichtungen beziehungsweise geistreiche Essays, sondern sorgten auch mit Opiumexzessen und entsprechend sprunghaftem, unzurechnungsfähigem Verhalten für Aufsehen. Und schlicht »mad, bad and dangerous to know« war Lord Byron, wenn man Lady Caroline Lamb Glauben schenken will, mit der Byron eine stürmische Affäre hatte. Zweifel an der Objektivität dieses einprägsamen Verdikts sind berechtigt, schließlich hatte die Lady ein Hühnchen zu rupfen und ein gewisses Interesse, die Reputation ihres ehemaligen Liebhabers zu schädigen. Angesichts der von vielen Skandalen geprägten Biographie Byrons darf man aber davon ausgehen, daß vornehmeZurückhaltung und ein allzeit tadelloses Auftreten nicht die Stärke des großen Mannes war.
Nun ist es kein Zufall, daß alle oben aufgeführten Beispiele skandalträchtigen Benehmens ausgerechnet große Männer betreffen: Nur Männer konnten sich in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts (zu der Zeit, als Austen ihre schriftstellerische Karriere begann) und in den darauffolgenden Jahrzehnten Skandale und Tabubrüche erlauben, ohne dabei ihr Ansehen als Autoren einzubüßen. Auf schreibenden Frauen, Romanschriftstellerinnen zumal, lastete ein ungleich höherer ideologischer Druck; der Rechtfertigungszwang, dem sie sich ausgesetzt fanden, war enorm. Zum einen wurde schon ihre bloße Präsenz in der literarischen Öffentlichkeit als unweiblich diskreditiert. Abhandlungen wie etwa Isaac D’Israelis
Literary Character of Men of Genius
(1795) definierten Autorschaft und öffentliches Sprechen per se als männlich und ordneten Frauen generell und unwiderruflich der häuslichen Sphäre zu; bei der Entstehung literarischer Werke wurde ihnen allenfalls eine zuarbeitende Funktion zugestanden. Zum anderen galt der Roman als ein seit der Epoche Fieldings und Richardsons heruntergekommenes Genre, bestenfalls hohl, schlimmstenfalls moralisch verwerflich. So gehört für Coleridge die Lektüre von Romanen zur selben Klasse von Beschäftigungen wie »Glücksspiele, Herumkippeln auf einem Stuhl, Spucken von einer Brücke, Rauchen, Schnupfen und abendliche Streitereien unter Eheleuten« (
Biographia Literaria
, 1817). Und weil der Roman besonders als Lektüre für junge Frauen derart verschrien war, durfte eine andere Gattung eine neue Blütezeit erleben: Die
conduct books
, Verhaltensbücher, boten sich an als bessere, alternative Lektüre und versprachen mit lockenden Titeln wie
Letters of Genteel and Moral Advice to a Young Lady
,
Sermons to Young Women
oder
Lectures on Female Education and Manners
garantiert Unschädliches, Erbauliches und Erzieherisches.
In diesem Klima nun machte Jane Austen ihre literarischenAnfänge, mußte ihre Stimme finden und ihre Autorschaft behaupten. Der Verdacht, daß ihre legendäre Bescheidenheit nicht nur die Gottesgabe war, als die Bruder und Neffe sie darstellen, liegt nahe. Im Kontext der widrigen Umstände, mit denen schreibende Frauen zu kämpfen
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