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Northanger Abbey

Northanger Abbey

Titel: Northanger Abbey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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Richard hieß« (S. 9) eine Aussage, die jedem Versuch rationaler Erklärung spottet.
    Die Funktion der Persiflage ist mit dem Auslösen von Gelächter aber noch nicht erschöpft. Anders als in den Jugendwerken ist das Spiel mit der Literatur hier kein Selbstzweck mehr, sondern wird instrumentalisiert im Sinne eines neuen Realismus. Hinter dem was Catherine, ihre Familie und Lebensumstände alles nicht sind, scheint auf, was sie sind – nämlich erschütternd normal. Für diese Normalität reklamiert Austen das Interesse ihrer Leser, indem sie der
ex negativo
zu lesenden Charakterisierung des I. Kapitels eine weitere hinterherschiebt. So erfährt man zu Beginn des II. Kapitels, daß Catherine »ein liebevolles Herz hatte, ein fröhliches, offenes Naturell ohne alle Dünkel oder Affektiertheit, ein Auftreten, dem noch die Unbeholfenheit und Schüchternheit des Schulmädchens anhaftete, ein gefälliges und, wenn sie guter Dinge war, auch hübsches Äußeres – und einen so unbedarften,naiven Geist, wie ihn weibliche Wesen im Alter von siebzehn gemeinhin haben«. (S. 15) Der Informationsgehalt dieser Passage ist beschränkt und beläuft sich auf nicht viel mehr als: Catherine ist nett, normal und ihrem Alter entsprechend unwissend. Kraft ihrer betonten Schlichtheit vermittelt die zitierte Reihe von Aussagesätzen aber noch eine weitere, eine Meta-Botschaft: daß nämlich essentielle Dinge und schlichte Wahrheiten schlicht gesagt werden können und daß sie im Zweifelsfall mehr Interesse verdienen als alle Schnörkel und Übertreibungen.
    Die Anti-Heldin Catherine, das einfache und normale Mädchen, schickt Austen nun auf Abenteuer aus. Dieses ›Abenteuer‹ ist aber nichts anderes als ihr Eintritt in die Gesellschaft, wo Catherine lernen muß, sich zurechtzufinden, wo sie Täuschungen durchschauen und Irrtümer ablegen muß, bevor sie schließlich in der Heirat mit Henry Tilney ihr persönliches Glück sowie einen sozial und finanziell gesicherten Status findet. Diese recht einfache Erzählstruktur hat Austen ihren Kolleginnen Burney und Edgeworth entliehen; auch deren Heldinnen Belinda, Cecilia, Camilla, Evelina etc. durchlaufen von ihrem Eintritt in die Gesellschaft an Bildungswege, die in einer erfüllenden Eheschließung enden. Wo aber die oft schon allzu idealen Protagonistinnen Burneys und Edgeworths immer noch mehr und mehr weibliche Tugenden lernen müssen, oder aber (in
Camilla
) die Handlung von der schier unermeßlichen Fähigkeit der Figuren, sich gegenseitig mißzuverstehen, angetrieben wird, da sucht sich Austen einen sowohl plausibleren als auch witzigeren Motor für ihre Handlung.
    Catherine nämlich leidet unter einer Art Lektürewahn; sie sieht die Welt durch das Prisma der allzu vielen Schauerromane, die sie gelesen hat. Sie selber bleibt dabei (anders als ihre berühmte Cousine Emma Bovary, ebenfalls Opfer eines Lektürewahns) naiv und beinahe unschuldig. Das liegt daran, daß sie nicht heldinnenhafte Dimensionen für ihr eigenes Ichimaginiert und sich etwa als leidenschaftlich Liebende oder tragisches Opfer sieht. Ihre Phantasien sind nicht eitel und selbstbezogen. Ihr Fehler, ihr Lektürewahn, besteht darin, allerlei Grauenhaftes hinter der Fassade des Alltags zu vermuten. Insbesondere der Familiensitz der Tilneys, Northanger Abbey, beflügelt aufgrund seines Alters und Namens ihre Phantasie. Gemäß ihrer Lektüren erwartet Catherine von einer ehemaligen Abtei finstere Mauern, unterirdische Gänge sowie eine ebenso finstere Geschichte, die die Gegenwart und den Alltag noch immer in ihrem Bann hält. Ihre Vorstellungen erfüllen sie zunächst noch mit wohligem Schauer und lustvollem Gruseln. Nur zu gern läßt sie sich von Henry Tilney, der ihren Lektürewahn durchschaut und überlegenbelustigt mit ihr spielt, Northanger Abbey als einen dem Schauerroman entsprungenen Ort ausmalen: Launenhaft flackerndes Licht, dunkle Gänge, seit Jahren unangetastet gebliebene Sterbezimmer, verschlossene Truhen, Geheimtüren, Blutstropfen, Dolche, Diamanten und ein altes Manuskript – nichts fehlt in dem Szenario, das Henry für die gierig lauschende, noch skeptische Catherine entwirft (Zweites Buch, Kapitel VI). Ihre Skepsis und ihr Realitätssinn halten jedoch nicht lange stand. Während ihres Besuchs in Northanger Abbey, Gegenstand des Zweiten Buches des Romans, steigert sich Catherine so in ihre Vorstellungen hinein, daß sie bald wirklich Angst empfindet. Und obwohl ihre »Entdeckungen« sie mehrfach auf

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