Northanger Abbey
Schloß an ihrer Tür, als versuchte jemand zu ihr hereinzugelangen. Hohles Gemurmel ertönte aus der Galerie, bald hier, bald da, und mehr als einmal ließen ferne Seufzer das Blut in ihren Adern gefrieren. Stunde um Stunde verstrich, und die geräderte Catherine hörte sämtliche Uhren im Haus drei schlagen, ehe der Sturm abflaute oder sie unversehens in festen Schlaf fiel.
VII. KAPITEL
Catherine erwachte davon, daß das Hausmädchen morgens um acht ihre Fensterläden aufstieß, und als sie die Augen öffnete (wie konnte es sein, daß sie je geschlossen gewesen waren?), bot sich ihr ein rundum erfreulicher Anblick: ihr Kaminfeuer brannte schon, und nach den Stürmen der Nacht war der Tag klar und schön. Kaum war sie wieder bei sich, war auch die Erinnerung an das Manuskript wieder da; und in dem Augenblick, in dem das Hausmädchen sie allein ließ, sprang sie mit einem Satz aus dem Bett, sammelte voll Eifer die verstreuten Blätter ein, die beim Herunterfallen aus der Rolle gerutscht waren, und eilte in ihre Kissen zurück, um sich behaglich ihrer Lektüre widmen zu können. Schon jetzt sah sie, daß das Manuskript vom Umfang her nicht mithalten konnte mit jenen, die ihr in ihren Büchern Schauder einjagten, denn die Rolle, die ihr ganz aus einzelnen losen Zetteln zu bestehen schien, war recht schmal und jedenfalls entschieden kümmerlicher als zunächst von ihr angenommen.
Begierig überflog sie ein Blatt … Der Atem stockte ihr. Sah sie noch recht, konnte das wahr sein? Ein Verzeichnis von Leinenzeug, in grober, moderner Schrift erstellt, das schien schon alles! Wenn nicht sämtliche Sinne sie trogen, hielt sie eine Wäscheliste in der Hand. Sie griff nach dem nächsten Blatt: die gleichen Wäschestücke in ähnlicher Auflistung. Auch ein drittes, ein viertes und fünftes ergaben nichts Neues. Von jedem starrten ihr Hemden, Strümpfe, Krawatten und Wämse entgegen. Zwei weitere, abgefaßt von derselben Hand, vermerkten Auslagen von kaum größeremInteresse, für Briefe, Haarpuder, Schnürsenkel und Bleichseife. Und bei dem größeren Blatt, in das die anderen eingerollt gewesen waren, handelte es sich, nach den Krakeln der ersten Zeile zu schließen – »Breiumschlag Fuchsstute« –, um die Rechnung eines Roßarztes. Wegen dieser Zettelsammlung (im Zweifel durch die Nachlässigkeit eines Dieners an dem Platz verblieben, von dem sie sie geholt hatte) hatte sie sich in solche Erwartung und Unruhe hineingesteigert, daß sie die halbe Nacht schlaflos gelegen war! Am liebsten wäre sie zu Staub zerfallen. Hatte sie das Erlebnis mit der Truhe denn gar nichts gelehrt? Die Truhenkante schien sich anklagend gegen sie zu erheben, als ihr Blick nun vom Bett aus darauf fiel. Nichts mutete plötzlich offensichtlicher an als die Absurdität ihrer Gedankenflüge. Sich einzubilden, daß eine alte Handschrift über Generationen hinweg unentdeckt hatte bleiben können, in einem Zimmer, das so modern und so wohnlich war! – oder daß es vor ihr keiner verstanden haben sollte, einen Schrank aufzuschließen, dessen Schlüssel für jeden sichtbar im Schloß steckte!
Wie hatte sie solcher Selbsttäuschung erliegen können? – Gott verhüte, daß Henry Tilney je von ihrer Dummheit erfuhr! Wobei die Schuld ja zum großen Teil ihn traf, denn wäre der Schrank nicht aufs Haar der gleiche gewesen wie in dem Abenteuer, das Henry ihr angedichtet hatte, dann hätte er nicht die leiseste Neugier bei ihr ausgelöst. Das war das einzige, womit sie sich trösten konnte. So eilig hatte sie es, sich dieser abscheulichen Zeugnisse ihrer Torheit zu entledigen, dieser widerwärtigen, über ihr Bett verstreuten Zettel, daß sie schleunigst aufstand, sie möglichst akkurat so bündelte wie zuvor, sie an ihren alten Platz im Schrank zurücklegte und dabei aus tiefster Seele hoffte, kein tückischer Zufall möge sie je wieder ans Tageslicht befördern und ihr ihre Schande ins Gedächtnis rufen.
Aber daß sich die Schlösser so widersetzt hatten, war dennoch seltsam, denn nun gingen sie plötzlich ganz leicht. Eshatte auf jeden Fall etwas Rätselhaftes, und eine halbe Minute lang gefiel sie sich in dieser Vorstellung, bis ihr der Gedanke kam, die Tür könnte die ganze Zeit über offen gewesen sein und erst sie hätte sie versperrt, was ihr neuerlich das Blut in die Wangen trieb.
So rasch es ging, entfloh sie diesem Raum, in dem ihr Verhalten solch unerfreuliche Überlegungen auslöste, und begab sich direkt in das Frühstückszimmer, das ihr
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