Northanger Abbey
er dadurch, sann Catherine, nicht auch ihrem Mann teuer sein? Und trotzdem hatte der General ihn nicht einschlagen wollen! Als Miss Tilney nichts weiter sagte, wagte sie folgende Bemerkung: »Ihr Tod muß Sie sehr getroffen haben!«
»Ja, sehr, und ich merke es immer stärker«, erwiderte die andere leise. »Ich war erst dreizehn, als es passierte, und obwohl ich meinen Verlust wahrscheinlich so schwernahm, wie ein Kind es nur kann, war ich mir doch nicht über die Tragweite im klaren – wie auch?« Sie hielt einen Moment inne und sagte dann mit fester Stimme: »Ich habe ja keine Schwester, und obwohl Henry – obwohl meine Brüder sehr nett zu mir sind und Henry so viel hier ist, wofür ich sehr dankbar bin, fühle ich mich doch recht oft allein.«
»Er fehlt Ihnen sicher sehr.«
»Eine Mutter wäre immer dagewesen. Sie hätte ich immer zur Freundin gehabt; ihr Einfluß hätte mich mehr geprägt als jeder andere.«
Sie sei doch sicher eine Frau von großem Charme gewesen, und großer Schönheit? Und gab es in der Abtei ein Bild von ihr? Und warum hatte es sie so zu diesem Hain hingezogen? Kam das von einer melancholischen Veranlagung? – das waren die Fragen, die nun aus Catherine hervorsprudelten; – die ersten drei wurden bereitwillig bejaht, die beiden anderen übergangen; und Catherines Interesse an der seligen Mrs. Tilney verstärkte sich mit jeder Frage, ob beantwortet oder nicht. Von ihrer unglücklichen Ehe fühlte sie sich inzwischen überzeugt. Der General konnte nur ein hartherziger Ehemann gewesen sein. Er liebte ihren Lieblingsweg nicht – konnte er dann sie geliebt haben? Und so gut er ansonsten aussah, hatten seine Züge doch etwas, das stark darauf hindeutete, daß er schlecht gegen sie gehandelt hatte.
»Ihr Bild« – Catherine errötete ob ihrer raffinierten Fragestellung –, »das hängt doch sicher bei Ihrem Vater im Zimmer?«
»Nein; es war für den Salon bestimmt, aber mein Vater war nicht zufrieden mit der Ausführung, und eine Weile hing es nirgendwo. Kurz nach ihrem Tod habe ich es mir dann ausgebeten und es in meinem Schlafzimmer aufgehängt – wo Sie es gerne ansehen dürfen – sie ist sehr gut getroffen.« Hier war ein weiterer Beweis. Ein Porträt – und ein treffendes Porträt auch noch – der verblichenen Ehefrau, das von ihrem Gatten nicht hochgehalten wurde! Er mußte unsagbar grausam zu ihr gewesen sein!
Catherine gab jeden Versuch auf, sich über die Natur der Gefühle zu belügen, die er trotz seiner Aufmerksamkeiten in ihr auslöste; und was als Furcht und Mißbehagen begonnen hatte, schlug nun in blanke Abscheu um. Ja, Abscheu! Seine Grausamkeit zu einer so reizenden Frau machte ihn ihr verhaßt. In ihren Büchern gab es reihenweise solche Menschen – Charaktere, die Mr. Allen unecht und überzogen zu nennen pflegte; doch hier war der leibhaftige Beweis für das Gegenteil.
Zu diesem Schluß war sie gerade gelangt, als der Pfad endete und vor ihnen der General stand; und aller tugendhaften Entrüstung zum Trotz sah sie sich wieder gezwungen, neben ihm einherzugehen, ihm zuzuhören, ja sogar zu lächeln, wenn er lächelte. Nun aber fand sie gar keine Freude an ihrer Umgebung mehr, und so wurde ihr Schritt immer schleppender; der General sah es, und mit so angelegentlicher Besorgnis um ihr Wohl, daß sie sich ihrer Meinung von ihm fast schon wieder schämte, drang er darauf, daß sie mit seiner Tochter zum Haus zurückkehrte. Er würde ihnen in einer Viertelstunde nachfolgen. Erneut trennte man sich – aber gleich darauf rief er Eleanor noch einmal zu sich und mahnte sie, ihre Freundin ja nicht durch die Abtei zu führen, ehe er nicht zurück sei. Daß er nun schon zum zweiten Mal mit Fleiß hinausschob, worauf sie so sehnlich wartete, erschien Catherine mehr als merkwürdig.
VIII. KAPITEL
Eine Stunde verging, bevor der General zurückkam, eine Stunde, die sein junger Gast mit recht vernichtenden Betrachtungen über seinen Charakter zubrachte. – Diese verlängerte Abwesenheit, dieses einsame Umherstreifen schien kein Zeichen für ein Gemüt, das mit sich im reinen war, oder für ein Gewissen, das frei war von Selbstvorwürfen. – Schließlich aber kam er, und in was für düsterem Sinnen er sich auch ergangen haben mochte, mit
ihnen
konnte er doch lächeln. Miss Tilney, die in Teilen ja wußte, wie neugierig ihre Freundin auf das Haus war, sprach das Thema bald wieder an, und ihr Vater, der entgegen Catherines Befürchtungen keine neuerliche
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