Northanger Abbey
fallenlassen – ihnen einen versteckten Fingerzeig geben – aber mehr sicher nicht. Eine Freundin bloßzustellen, eine solche Freundin, wie sie sie in Isabella gehabt hatte – vor ihnen, deren eigener Bruder so tief in die Sache verstrickt war! – Nein, sie würde das Thema wohl ganz und gar umschiffen müssen. Henry und Eleanor saßen allein im Frühstückszimmer, und beide sahen besorgt auf, als sie eintrat. Catherine setzte sich auf ihren Platz, und nach einem kurzen Schweigen sagte Eleanor: »Keine schlimmen Neuigkeiten aus Fullerton, hoffe ich? Mr. und Mrs. Morland – Ihre Brüder und Schwestern – es ist doch keiner von ihnen krank?«
»Nein, vielen Dank« (mit einem Seufzer), »es geht ihnen allen gut. Der Brief ist von meinem Bruder James aus Oxford.«
Einige Minuten lang wurde nichts weiter gesprochen; und dann fügte sie mit erstickter Stimme hinzu: »Das ist das letzte Mal, daß ich mir einen Brief gewünscht habe!«
»Das tut mir leid«, sagte Henry und klappte das Buch, das er gerade aufgeschlagen hatte, zu; »wenn ich geahnt hätte,daß der Brief eine schlechte Nachricht enthält, dann hätte ich ihn Ihnen mit ganz anderen Gefühlen gegeben.«
»Er enthält etwas Schlimmeres, als irgend jemand je hätte vermuten können! – Der arme James ist so unglücklich! – Sie werden bald wissen, weshalb.«
»Worin auch sein Unglück besteht«, erwiderte Henry voll Wärme, »eine so anteilnehmende, liebevolle Schwester wie Sie muß ein großer Trost für ihn sein.«
»Um eines möchte ich Sie bitten«, sagte Catherine gleich darauf in erregtem Ton, »nämlich, daß Sie mir rechtzeitig Bescheid sagen, wenn Ihr Bruder sich ankündigt, damit ich abreisen kann.«
»Unser Bruder! – Frederick!«
»Ja; es würde mir natürlich sehr leid tun, so früh von Ihnen fortzumüssen, aber es ist etwas vorgefallen, das es mir zur Qual machen würde, mit Captain Tilney unter einem Dach zu sein.«
Eleanor hatte ihre Handarbeit sinken lassen und sah sie mit wachsendem Erstaunen an; doch Henry dämmerte nun die Wahrheit, und eine Äußerung entschlüpfte ihm, in der Miss Thorpes Name enthalten war.
»Wie schnell Sie begreifen!« rief Catherine; »Sie haben es erraten, ich sehe es Ihnen an! – Trotzdem, als wir in Bath darüber sprachen, hätten auch Sie nicht gedacht, daß es so enden könnte. Isabella – kein Wunder, daß ich nichts von ihr gehört habe – Isabella hat meinen Bruder verstoßen und heiratet nun Ihren! Hätten Sie sich träumen lassen, daß irgend jemand auf dieser Welt so treulos und wankelmütig und durch und durch schlecht ist?«
»Ich hoffe, zumindest was meinen Bruder angeht, sind Sie falsch unterrichtet. Ich hoffe, daß er nicht maßgeblich zu Mr. Morlands Enttäuschung beigetragen hat. Daß er Miss Thorpe heiratet, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Ich bin mir sicher, da täuschen Sie sich. Es tut mir sehr leid für Mr. Morland – sehr weh, daß ein Mensch, den Sie lieben, leidenmuß; aber wenn Frederick sie heiraten sollte, würde mich das mehr wundern als irgend etwas sonst an der Geschichte.«
»Oh, es ist vollkommen wahr; da, lesen Sie James’ Brief selbst. – Obwohl – eines darin …« Errötend entsann sie sich der letzten Zeile.
»Wenn Sie uns die Passagen über meinen Bruder vielleicht einfach vorlesen?«
»Nein, lesen Sie nur«, rief Catherine, die jetzt klarer dachte. »Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist« (und sie errötete nochmals, diesmal über ihr eigenes Erröten) – »James will mir einfach nur einen guten Rat geben.«
Er nahm den Brief bereitwillig entgegen, und nachdem er ihn sich aufmerksam durchgelesen hatte, reichte er ihn ihr mit den Worten zurück: »Nun, wenn es so sein soll, dann kann ich nur mein Bedauern äußern. Frederick wäre nicht der erste Mann, der bei der Brautwahl weniger klug zu Werke geht, als es seine Familie erwartet. Ich möchte um nichts in seiner Haut stecken, weder als Verlobter noch als Sohn.«
Miss Tilney las den Brief nun auf Catherines Aufforderung hin gleichfalls; und nachdem auch sie ihrer Sorge und Verwunderung Ausdruck verliehen hatte, erkundigte sie sich nach Miss Thorpes Verwandtschaft und Vermögen.
»Ihre Mutter ist eine sehr liebe Frau«, lautete Catherines Antwort.
»Was war ihr Vater denn?«
»Advokat, glaube ich. Sie wohnen in Putney.«
»Und ist es eine wohlhabende Familie?«
»Nein, nicht sehr. Ich glaube fast, Isabella bringt gar nichts mit, aber in Ihrer Familie spielt das ja keine Rolle, Ihr Vater
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