Northanger Abbey
ist ja so ungemein freisinnig! Erst neulich hat er mir wieder gesagt, daß Geld für ihn nur insofern Wert hat, als es ihm hilft, das Glück seiner Kinder zu fördern.« Bruder und Schwester wechselten einen Blick. »Aber«, sagte Eleanor nach einer kurzen Pause, »würde es denn sein Glück fördern, wenn man ihm die Heirat mit einem solchen Mädchen ermöglicht? Siekann keine Prinzipien haben, sonst hätte sie Ihrem Bruder nicht so mitgespielt. – Und was für eine seltsame Verliebtheit von Fredericks Seite! Eine Frau, die vor seinen Augen ein Verlöbnis bricht, das sie aus freien Stücken mit einem anderen eingegangen ist! Ist das denn vorstellbar, Henry? Ausgerechnet Frederick, dem sein Herz immer für alle zu gut war – dem noch keine Frau je seiner Liebe wert schien!«
»Das ist das Allerbedenklichste bei der Sache, das belastendste Indiz. Wenn ich an seine früheren Erklärungen denke, dann schreibe ich ihn ab. – Außerdem habe ich eine zu hohe Meinung von Miss Thorpes Schläue, um zu hoffen, daß sie dem einen Gentleman den Laufpaß gibt, bevor sie den anderen fest an der Angel hat. Nein, mit Frederick ist es aus! Er ist ein toter Mann – gestorben an Gehirnerweichung! Stimm dich auf deine Schwägerin ein, Eleanor – eine Schwägerin, ganz wie du sie dir wünschst: offen, aufrichtig, ungekünstelt, arglos, ein Mensch, dessen Gefühle stark, aber geradlinig sind, dem jede Anmaßung fremd ist und der keine Verstellung kennt.«
»So eine Schwägerin würde ich mir allerdings wünschen, Henry«, sagte Eleanor mit einem Lächeln.
»Aber vielleicht«, wandte Catherine ein, »hat sie nur an unserer Familie so schlecht gehandelt, und an Ihrer wird sie besser handeln. Jetzt, wo sie den Mann hat, den sie eigentlich wollte, kann es doch sein, daß sie treu bleibt.«
»O ja, das fürchte ich auch«, entgegnete Henry, »ich fürchte, sie bleibt treu wie Gold, wenn nicht gerade ein Baronet des Weges kommt; das ist Fredericks einzige Chance. – Ich will gleich die Bather Zeitung besorgen und die Ankünfte überprüfen.«
»Ach, meinen Sie, es ist alles nur aus Ehrgeiz? – Doch, ich muß sagen, ein paar Dinge sprechen dafür. Als sie erfuhr, wieviel mein Vater ihnen geben würde, da schien sie recht enttäuscht, daß es nicht mehr war, das weiß ich noch. In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nie so in einem Menschen geirrt.«
»Aus der ganzen, großen Bandbreite derer, die Sie gekannt und kritisch geprüft haben.«
»Trotzdem, so groß meine Enttäuschung und mein Verlust auch sind – der arme James wird wohl kaum darüber hinwegkommen, fürchte ich.«
»Ihr Bruder ist gegenwärtig sehr zu bedauern, unbedingt; aber wir dürfen vor lauter Mitleid mit ihm nicht Ihr Leiden vernachlässigen. Für Sie, denke ich doch, muß es sein, als hätten Sie mit Isabella auch einen Teil Ihrer selbst verloren; Sie müssen in Ihrem Herzen eine Leere empfinden, die nichts anderes ausfüllen kann. Gesellschaft jeder Art peinigt Sie nur; und was die Lustbarkeiten betrifft, in denen Sie sich in Bath zu ergehen pflegten, so muß Ihnen der bloße Gedanke daran ohne Isabella ein Greuel sein. Nichts in der Welt könnte Sie jetzt etwa dazu bewegen, einen Ball zu besuchen. Ihnen ist, als gäbe es keinen Menschen mehr, dem Sie rückhaltlos Ihr Herz ausschütten können, keinen Menschen, auf dessen Zuneigung Sie voll und ganz zählen können und auf dessen Rat in allen Widrigkeiten Verlaß ist. Empfinden Sie das alles?«
»Nein«, sagte Catherine nach einigem Überlegen, »das tue ich nicht – müßte ich das? Um ehrlich zu sein, sosehr es mir weh tut und mich quält, daß ich sie nicht mehr liebhaben kann und daß ich nie wieder von ihr hören und sie vielleicht niemals mehr sehen werde, trifft es mich nicht so fürchterlich, wie man meinen sollte.«
»Sie empfinden wie immer das, was einem Menschenherzen am meisten Ehre macht. Solche Empfindungen verdienen es, daß man ihnen nachgeht, damit Sie merken, was Sie daran haben.«
Aus irgendeinem Grund fühlte sich Catherine so wundersam getröstet durch dieses Gespräch, daß es sie kaum reute, auf so unerklärliche Weise den Umstand ausgeplaudert zu haben, durch den es herbeigeführt worden war.
XI. KAPITEL
Von da an wurde das Thema von den drei jungen Leuten häufig erörtert; und Catherine wunderte sich doch etwas, wie vollkommen einig sich ihre beiden Freunde darin waren, daß Isabellas fehlender Rang und Reichtum ihr bei der Heirat mit ihrem Bruder ganz erheblich im Weg
Weitere Kostenlose Bücher