Northanger Abbey
ich habe es mir zur Regel gemacht, Miss Morland, niemals irgendeinen meiner Nachbarn vor den Kopf zu stoßen, wenn ein kleines Opfer an Zeit und Aufmerksamkeit es verhindern kann. Es sind sehr brave Leute, alle miteinander. Sie bekommen zweimal im Jahr einen halben Rehbock von Northanger, und ich speise bei ihnen, wann immer ich kann. Den Dienstag können wir also ebenfalls ausschließen. Aber am Mittwoch, würde ich sagen, darfst du uns erwarten, Henry, und wir werden früh da sein, damit wir Zeit haben, uns umzusehen. Zweidreiviertel Stunden werden wir brauchen, schätze ich; um zehn fahren wir ab; das heißt, um Viertel vor eins am Mittwoch kannst du nach uns Ausschau halten.«
Selbst ein Ball hätte Catherine nicht so willkommen sein können wie dieser kleine Ausflug, so sehr brannte sie darauf, Woodston kennenzulernen; und in ihr jubelte noch alles, alsetwa eine Stunde später Henry in Stiefeln und Reitmantel in das Zimmer trat, in dem sie mit Eleanor saß, und sagte: »Ich komme zu einer Bußpredigt, liebe junge Damen, des Inhalts, daß unsere Freuden in dieser Welt unweigerlich einen Preis fordern und sie uns oft teuer zu stehen kommen, denn wir bezahlen in echtem, barem Glück für einen Wechsel auf die Zukunft, der vielleicht nie eingelöst wird. Seht mich zu dieser Stunde. Weil ich auf die Genugtuung hoffen soll, euch am Mittwoch in Woodston zu empfangen, was schlechtes Wetter oder zwanzig andere Gründe vereiteln können, muß ich jetzt gleich von hier fort, zwei Tage eher, als ich es vorhatte.«
»Von hier fort!« sagte Catherine mit langem Gesicht, »warum denn?«
»Warum! Was für eine Frage! Weil keine Zeit verschwendet werden darf, meine arme alte Pfarrköchin in Angst und Schrecken zu versetzen – weil ich aufbrechen und ein Mahl für Sie bereiten muß, darum!«
»Doch nicht im Ernst!«
»Aber ja, leider, denn ich würde viel lieber bleiben.«
»Aber wie kommen Sie auf so etwas, nach allem, was der General gesagt hat – wo er doch so ausdrücklich wollte, daß Sie sich keine Mühe machen – daß, was immer Sie dahaben, ausreicht?«
Henry lächelte nur.
»Ich kann Ihnen versichern, Ihre Schwester und ich nehmen mit allem vorlieb. Das wissen Sie ja bestimmt auch; und dem General lag so viel daran, daß Sie sich wegen uns keine Umstände machen; – und überhaupt, selbst wenn er nur halb soviel gesagt hätte, wie er es getan hat, bekommt er zu Hause doch immer so ausgezeichnete Mahlzeiten aufgetischt, daß
eine
mittelgute wohl nicht ins Gewicht fallen kann.«
»Ich wünschte, ich könnte argumentieren wie Sie, um seinet- wie auch um meinetwillen. Lebt wohl. Da morgen Sonntag ist, Eleanor, komme ich nicht zurück.«
Damit ging er; und da Catherine sich allemal leichter tat,statt Henrys Urteil ihr eigenes anzuzweifeln, mußte sie schon bald einsehen, daß er wohl recht hatte, sowenig es ihr auch paßte, daß er ging. Aber das widersinnige Verhalten des Generals beschäftigte sie doch. Daß er es mit dem Essen sehr genau nahm, hatte sie ohne fremde Hilfe schon bemerkt; aber daß er so nachdrücklich das eine sagen und dabei etwas völlig anderes meinen konnte, wollte ihr nicht in den Kopf. Wie sollte man die Menschen begreifen, wenn sie so waren? Wer außer Henry hätte durchschauen können, worauf sein Vater es anlegte?
Von Samstag bis Mittwoch sollten sie nun ohne Henry auskommen. Das war das traurige Fazit sämtlicher ihrer Überlegungen; – und Captain Tilneys Brief würde gewiß in Henrys Abwesenheit eintreffen; und am Mittwoch würde es ganz sicher regnen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schienen alle gleichermaßen trübe: ihr Bruder so unglücklich, und Isabella ein solch herber Verlust für sie, und Eleanor immer so bedrückt, wenn Henry fort war! Womit sollte sie sich zerstreuen, womit sich aufheitern? Sie hatte die Wäldchen und Strauchpflanzungen satt – alles so aufgeräumt und so öde; und die Abtei war für sie nur mehr ein Haus wie jedes andere. Eine schmerzhafte Erinnerung an die Torheit, die Northanger in ihr hatte keimen und reif werden lassen, das war die einzige Empfindung, die es in ihr noch wachrufen konnte. Welche Umwälzung ihrer Vorlieben – nachdem sie so sehnlich gewünscht hatte, in einer Abtei zu sein! Jetzt stellte sich ihrer Phantasie nichts reizvoller dar als die bescheidene Behaglichkeit eines wohlbestellten Pfarrhauses, etwas wie Fullerton, nur besser. Fullerton hatte seine Nachteile, aber Woodston hatte bestimmt keinen einzigen. – Wenn nur der
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