Nosferas
vor.
Luciano ballte die Fäuste und knurrte bedrohlich. »Manchmal könnte ich dir den Hals herumdrehen! Sei vorsichtig, was du sagst. Dies ist nicht der rechte Moment, meine Beherrschung auf die Probe zu stellen.«
»Ah, wie ich höre, liegen hier die Nerven blank!« Franz Leopold kam mit dem üblichen überlegenen Lächeln herangeschlendert. »Nun ja, vermutlich hast du allen Grund nervös zu sein, aber dass du Alisa für eine wahre - wenn auch nicht sehr geistreiche Antwort - gleich mit den Fäusten drohst? Das wird eine schwarze Nacht für dich werden, fürchte ich.«
»Was willst du hier?«, fuhr ihn Alisa an.
»Vielleicht bedarfst du wieder meines Schutzes?«, schlug Franz Leopold vor. »Obwohl ich es sogar dir zutraue, mit unserem Dickerchen alleine fertig zu werden, wenn er vor Angst völlig durchdrehen sollte.«
»Verschwinde!«, sagte Alisa nur und wandte sich demonstrativ von ihm ab. Franz Leopold zuckte mit den Schultern und gesellte sich wieder zu seinem Vetter und seinen Cousinen. Eine Weile herrschte Stille in der Halle.
Luciano spielte mit seinem leeren Becher. »Wo sie nur bleibt? So lange kann die Prüfung doch nicht dauern. Ich hoffe, wir haben genug Zeit, sie ausführlich zu befragen.«
Luciano wurde enttäuscht. Ivy kehrte gar nicht in die Halle mit der goldenen Decke zurück. Vermutlich hatte sie genau aus diesem Grund die Anweisung bekommen, sich von den anderen fernzuhalten, und es war typisch für ihre direkte, aufrechte Art, dass sie sich daran hielt. Als Nächstes wurden Chiara und Fernand aufgerufen, dann Raymond, danach Sören mit Ireen.
»Hoffentlich bekomme ich einen guten Partner!«, wiederholte Luciano in einer unermüdlichen Litanei. »Wenn ich mit Franz Leopold zusammen gehen soll, werde ich mich weigern!«, kündigte er an, aber Alisa wusste, dass das nur eine leere Drohung war. Schließlich wurde Luciano aufgerufen. Allein. Er warf Alisa noch einen letzten verzweifelten Blick zu, dann folgte er Signora Enrica zu seiner Prüfung.
ZWISCHENPRÜFUNG
Luciano trat in die Halle, die wie für ein Fest geschmückt worden war. Zwischen antiken Statuen und grünen Girlanden entdeckte er auch einige Gegenstände, die aus den umliegenden Kirchen entwendet worden sein mussten. Obwohl er sich am liebsten hinter einer der Statuen versteckt hätte, straffte er den Rücken und schritt auf die Kommission zu. Seine tiefe Reverenz fiel durchaus elegant aus, und er stolperte auch nicht über seinen langen Umhang, den er heute ausgewählt hatte, um sich ein erwachseneres Aussehen zu geben. Hoffentlich war ihm das weite Ungetüm mit den vielen Schulterkragen bei den praktischen Übungen nicht im Weg. Der Conte erhob sich, stellte ihn den Gästen noch einmal vor und begrüßte ihn im Namen des Clans und der anderen Familien.
Er soll endlich anfangen, bevor ich noch nervöser werde!
»Beginnen wir mit der Geschichte des antiken Roms! Von wann bis wann herrschte Kaiser Augustus und wie hießen seine vier Nachfolger?«
Stille senkte sich über die prächtige Oktogonhalle. Luciano schwieg. Sein Kopf war nur noch ein finsterer, leerer Raum. Sicher wäre ihm die Antwort eingefallen, wenn er nicht den Blick starr auf Professoressa Letizia gerichtet hätte, die ihre Knöchel knacken und den Rohrstock mit unheilvollem Zischen gegen ihre Stiefel klatschen ließ.
Umberto übernahm. »Wann herrschte Servius Tullis? Was weißt du über Domitian? Wann verließ Konstantin Rom? Wer hat Hannibal besiegt?«
Die Fragen prasselten auf ihn ein, doch Luciano rührte sich nicht. Die Professoren schwiegen und ließen die letzte Frage im Raum hängen.
»Luciano? Weißt du die Antwort?«, fragte Conte Claudio, als die Stille sich immer länger dehnte und die anderen Prüfer bereits die Köpfe schüttelten.
»Was? Verzeiht, Conte.« Luciano hob ruckartig den Kopf, als wäre er aus einer Trance erwacht.
»Dann sage uns doch wenigstens, wer vierundfünfzig bis achtundsechzig nach Christi in Rom herrschte«, bat der Conte mit einem Flehen in der Stimme.
»Nero«, flüsterte Luciano.
»Was? Ich verstehe keinen Ton«, polterte Professor Umberto. »Du bist eine Schande für unser ganzes Haus, du Versager!«
»Jetzt ist es aber genug!«, mischte sich Signora Enrica ein. »Hört mit diesem Theater auf!« Die Vampirin in ihrem biederen blauen Kleid mit dem weißen Kragen wirkte plötzlich Ehrfurcht gebietender als selbst der massige Professor Ruguccio. Sie trat in die Mitte der Halle. »Luciano, bitte wiederhole,
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