Nosferas
einige Kutschen vor, um die Gäste zum Teatro dell’Opera zu bringen. Lange Zeit hatte Rom kein Opernhaus besessen, doch nun hatte sich die neue Hauptstadt des Königreichs endlich wieder eines bauen lassen. Es war nicht annähernd so prächtig wie die Scala in Mailand oder das Gran Teatro La Fenice di Venezia, aber es würde durchaus seine Dienste tun. Ja, seine Schlichtheit und Kühle waren sogar gewollt, um das neue Zeitalter des Fortschritts zu unterstreichen.
»Was wird heute aufgeführt?«, fragte Alisa, als sie hinter Ivy und Luciano in eine Sänfte kletterte.
»Der Barbier von Sevilla von Gioachino Rossini«, gab Luciano bereitwillig Auskunft. »Bei ihrer Uraufführung hier in Rom war die Oper kein großer Erfolg, doch inzwischen lieben die Römer das Stück. Genauso wie Aschenputtel und Wilhelm Tell, die letzte Oper, die er vor seinem Tod schrieb.«
Ivy war ungewöhnlich schweigsam und wirkte bedrückt. Sie spielte abwesend mit ihrem schlichten Armreif, der aus dem grünen Marmor unter den Mooren von Connemara gefertigt worden war, so hatte sie es Alisa einmal gesagt. »Er bindet mich an meine Heimat«, waren ihre Worte gewesen, und ihre Stimme hatte ganz fremd geklungen. Sicher dachte sie gerade an Irland - und an Seymour.
Vielleicht war der Grund für ihre melancholische Stimmung, dass Conte Claudio ihr verboten hatte, Seymour mitzunehmen. Sie sei noch nie von ihm getrennt worden, hatte sie sich ereifert, doch der Conte war hart geblieben und hatte den Wolf in ein steinernes Gelass sperren lassen. Nun schien ihr alle Freude verdorben, doch Alisa war zuversichtlich, dass der Zauber der Nacht sie bald ablenken würde.
Der Platz vor der Oper war hell erleuchtet. Von überall strömten vornehm gekleidete Menschen herbei. Alisa betrachtete die üppigen Kleider, Hüte, Schmuck und Fächer und sehnte sich nach der Bequemlichkeit ihrer Hosen. Luciano verbeugte sich und bot den beiden Mädchen galant je einen Arm. Unter den wachsamen Blicken der Schatten stiegen die jungen Vampire die Stufen hinauf und betraten die große Halle.
»Ist es nicht aufregend?« Chiara stürmte mit gerafftem Spitzenrock auf sie zu. »Ich liebe es! So viele Menschen und dieser Geruch überall, man wird ganz schwindelig davon.«
»Ja, schwindelig«, meinte Ivy, deren Lächeln ein wenig gequält wirkte. Die unzähligen Gaslichter verbreiteten blendende Helligkeit und trotz der winterlichen Temperaturen draußen war es drinnen bereits stickig heiß.
»Mir sind das zu viele Menschen, und ich habe das Gefühl, ich sollte davonlaufen!«
Luciano umfasste ihren Arm ein wenig fester. »Du gewöhnst dich daran. Ich finde es aufregend und beängstigend zugleich. Ich fühle, wie meine Zähne hervordrängen, und traue mich kaum, den Mund zu öffnen. Ich denke immer, die Menschen müssten alle stehen bleiben, sich zu mir umdrehen und mich anstarren.«
Alisa kicherte etwas nervös. »Wenn sie heute jeden anwesenden Vampir anstarren wollten, blieben nicht mehr allzu viele für jeden Einzelnen von uns übrig.«
Luciano fiel in ihr Lachen ein, doch Ivy murmelte: »Das sind immer noch genug.«
»Dann lasst uns unsere Plätze aufsuchen. Wir sitzen dort drüben auf der linken Seite in einer Loge zusammen mit Chiara, Tammo und Malcolm. Ich kann euch, bis es anfängt, noch ein wenig über Rossini und das Stück erzählen, wenn es euch interessiert.«
»Gern!« Und so führte Luciano sie geschickt durch das Gedränge zu ihrer Loge, während er vom Leben und Sterben Rossinis berichtete.
»Der große Giuseppe Verdi hielt viel von ihm und hat nach Rossinis Tod die zwölf bedeutendsten Komponisten Italiens eingeladen, um gemeinsam eine Totenmesse für Rossini zu komponieren. Sie sollte am ersten Jahrestag seines Todes uraufgeführt werden, doch aus irgendwelchen Gründen wurde die Messa per Rossini, Messe für Rossini, bis heute nicht gespielt.«
Alisa warf Luciano einen erstaunten Blick zu. »Du weißt ja eine Menge. Ich wusste gar nicht, dass du dich so für Musik begeistert.«
Luciano wand sich ein wenig. »Ich fand die Oper schon immer faszinierend und war ein paarmal mit dem altehrwürdigen Giuseppe in verschiedenen Aufführungen, aber normalerweise rede ich nicht darüber. Ich glaube, dies ist keine Leidenschaft, die bei Vampiren Bewunderung hervorruft.«
Alisa hob die Schultern. »Na und? Glaubst du, in meiner Familie versteht irgendjemand meine Passion für die Erfindungen der Menschen und ihre Zeitungsnachrichten? Aber meist kümmert mich
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