Nosferas
Fackelträger bewegte sich durch das Gassengewirr am anderen Ufer auf die Piazza Navona zu. Der warme Feuerschein huschte über die Wände der dicht beieinanderstehenden Häuser. Doch die meisten Menschen Roms ruhten zu dieser Stunde, kurz bevor die ersten Marktleute sich mit ihren Waren zu den verschiedenen Plätzen der Stadt aufmachten. Die friedliche Stimmung griff auf sie über, bis Karl Philipp sie rüde durchbrach.
»Gar nichts ist entschieden! Vielleicht haben wir den ersten Teil nur knapp gewonnen, aber den Rückweg werden wir klar für uns entscheiden!« Er packte Franz Leopold, der neben Alisa und Ivy stand und mit ihnen über die Dächer der Stadt sah, an der Schulter. »Los, steh hier nicht so herum, als müsstest du den Mond anheulen. Der Wettlauf geht weiter!«
Anna Christinas Augen begannen zu funkeln. »Ja, der Wettlauf geht weiter!« Und schon eilten die drei die Treppe hinunter und verschwanden um die Biegung.
»He, was soll das?«, rief ihnen Luciano nach. »Dieser zweite Wettlauf war nicht abgemacht!« Er schnaufte empört. »Ich renne nicht ein zweites Mal durch ganz Rom!«
»Was?« Alisa sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an. »Du willst ihnen den Triumph gönnen, uns auf dem Rückweg zu schlagen? Das kannst du nicht machen! Nur weil du dich nicht anstrengen willst?«
»Luciano ist noch zu erschöpft«, sagte Ivy, und obwohl in ihrer Stimme kein Vorwurf lag, protestierte Luciano. Lieber würde er unterwegs zusammenbrechen, als diese Schmach zuzugeben! Entschlossen straffte er die Schultern.
Alisa strahlte. »Also dann los! Zeig uns den kürzesten Weg.«
Und schon lief er die Treppe hinab, die von der Dachterrasse bis zur Galerie führte, in den Hof und an den Gemächern der Renaissancepäpste vorbei.
»Rechts oder links?«, rief Alisa und sprang ungeduldig von einem Bein auf das andere, bis Luciano endlich in Sicht kam.
»Rechts, die Rampe runter!«
Sie verließen die Festung und hasteten dann an der Außenmauer vorbei bis zu einem Törlein, das Luciano öffnen konnte. »Wir nehmen jetzt das andere Ufer, das ist kürzer«, keuchte er. »Über die Brücke!«
Als sie die Brücke betraten - Seymour voran -, hatten die drei Wiener Vampire den Tiber bereits überquert und verschwanden im Gewirr der Gassen.
»Du musst dir die Hände waschen«, sagte Carmelo. Latona sah auf ihre blutigen Handflächen hinab. »Vielleicht solltest du das nächste Mal auch schwarze Handschuhe tragen.« Seine Stimme war ohne jede Emotion.
»Vielleicht«, sagte sie leise und vermied, zu dem Körper hinzusehen, der reglos in der Ecke des Hofes lag. »Kann ich jetzt gehen?«
Seine Miene wurde weicher. Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Ja, geh nur ins Zimmer, wasch dich und zieh dich um. Ich werde derweil unsere Spuren verwischen. Und dann werden wir zusammen etwas essen. Ich kenne eine kleine Bar, da kochen sie uns auch zu dieser Uhrzeit noch etwas.«
Sie nickte stumm. Noch konnte sie sich nicht vorstellen, überhaupt jemals wieder etwas hinunterzubekommen. Dieses Mal war es schlimm gewesen. Schlimmer als sonst? Oder wurde sie mit jedem Mal empfindlicher? Sie hätte gedacht, sie würde mit der Zeit abstumpfen, kälter werden, vor allem für die Alten und Hässlichen nichts mehr empfinden, aber die Hoffnung hatte sie getrogen. Sie sagte sich immer wieder, dass sie Monster waren, keine Menschen, die nichts auf dieser Erde zu suchen hatten, doch es gelang ihr nicht so recht.
Carmelo drückte kurz ihre Hand. »Es ist nur ein Trick, weißt du. Sie können unseren Geist beeinflussen, uns wehrlos, ängstlich oder empfindungslos machen, ja sogar uns alles vergessen lassen. Und eben auch als letzten Trumpf, wenn es für sie gefährlich wird, unser Mitleid entfachen, um sich zu retten.«
Latona sah auf den Körper hinab. »Das hat in diesem Fall ja nicht sehr gut für ihn funktioniert.«
»Nein, hat es nicht.«
Latona rieb die blutigen Hände gegeneinander. »Du musst hier noch alles wegräumen und sauber machen. Wirst du ihm den Kopf abschlagen?«
Carmelo nickte. »Du weißt, dass es nötig ist. Aber zuerst brauche ich den Stein.«
Er kniete sich neben den kalten Körper und schob seine Finger zwischen Jacke und Hemd. Nichts. Er öffnete die Goldknöpfe und schnürte das Seidenhemd auf. Weiß schimmerte die Brust im Mondschein. Die Wunde, die die Klinge hinterlassen hatte, wurde gnädig von dem dunklen Stoff der Jacke verdeckt. Von dem Rubin, den die anderen an Lederbändern oder feinen
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