Nosferas
unerkannt der allgemeinen Fürsorge überlassen, statt sie, wie früher üblich, im Tiber zu ertränken.
Doch in diesem Moment richtete nicht einmal Alisa auch nur einen Teil ihrer Aufmerksamkeit auf die Menschen und ihre Probleme. Seymour war schlitternd zum Stehen gekommen und hob leise jaulend die Schnauze. Ivy erreichte ihn als Erste.
»Was hat er?«, wollte Alisa wissen, als sie neben ihr anhielt.
Ivy kniff die Augen zusammen, dann deutete sie auf die Mauern der Engelsburg. »Siehst du das?«
»Bei den höllischen Dämonen.«
»Was? Was ist los?«, wollte Luciano wissen, der nun keuchend zu ihnen stieß. Er beugte sich nach vorn und presste beide Hände in die Seiten. Alisa warf ihm einen Blick zu, in dem er eine Mischung aus Verwunderung und Mitleid zu lesen glaubte. Beides traf ihn. Ivy zeigte noch immer auf die Burg. Als Luciano erkannte, auf was sie deutete, vergaß er sogar seine Gier nach Blut, die nach dem Lauf größer denn je war.
Kein Zweifel. Die drei Wiener Vampire stiegen gerade über die äußere Umfassungsmauer. Sie konnten Franz Leopold erkennen, der seine Hand helfend Anna Christina entgegenstreckte. Dann entschwanden sie ihren Blicken.
»Das darf doch nicht wahr sein«, stöhnte Luciano. »Wie kommen die denn so schnell hierher?«
Alisa lief weiter. »Kommt! Noch geben wir uns nicht geschlagen.« Die anderen folgten ihr.
»Müssen wir auch über die Mauer klettern?«, fragte Ivy, die sich zu Luciano zurückfallen ließ. »Wir können Seymour nicht zurücklassen.«
»Nein, keine Mauer erklettern«, keuchte Luciano. »Wir nehmen den Passetto.«
»Passetto? Was ist das?«, fragte Ivy, die neben ihm herzuspazieren schien, obwohl Luciano so schnell rannte, wie er konnte.
»Ein Rettungstunnel für den Papst vom Palast zur Burg«, stieß er hervor. »Dort, auf der Westseite.«
Luciano rannte auf den beschädigten Schutzwall der Sternschanze zu. An der Stelle, an der der Passetto ihn überquerte, ragten seine Bögen kaum mehr als fünf Schritte über dem Boden auf. Er deutete auf einen Baum, der seine Zweige bis über den steinernen Pfad reckte. Rasch kletterten sie hinauf. Selbst Seymour gelangte mit ein wenig Hilfe über die dicken Äste nach oben und sprang durch eine zerbrochene Abdeckplatte in den Gang, der den Päpsten lange Zeit als Fluchtweg gedient hatte. Im Laufschritt überquerten sie den Graben und erreichten die Bastion San Marco. Sie querten den niederen Verteidigungsturm, auf dessen Plattform ein paar rostige Kanonen standen. In den Ecken lagen steinerne Kugeln, von Moos und Flechten überzogen.
Luciano winkte sie weiter den Wehrgang entlang. »Dort drüben ist ein Steg, und ich weiß, wie man die Tür öffnet.«
»Seht ihr das?«, rief Alisa. »Sie klettern tatsächlich an der Außenmauer der Burg hinauf!« Klang da etwa Bewunderung in ihrer Stimme? Luciano warf ihren Gegnern nur einen kurzen Blick zu. Er hatte Wichtigeres zu tun, als ihre geschmeidigen, schlanken Körper zu bestaunen, die sich nach einer lautlosen Melodie zu bewegen schienen. »Wie elegant! Wie wunderschön!« Hatte eines der Mädchen das gesagt oder narrten ihn wieder die Stimmen in seinem Kopf?
Luciano querte den steinernen Steg und stemmte die Tür auf, die sich nur verklemmt hatte, nicht aber abgeschlossen war. »Kommt!«
Sie eilten weiter über eine ansteigende Rampe mit flachen Stufen, die die gesamte Festung gerade durchschnitt. Links öffnete sich ein Gang, der in einer weiten Spirale abwärts führte. Luciano aber folgte der Rampe nach oben. Über eine hölzerne Brücke überwanden sie einen Abgrund, der eine Kammer im Zentrum der Burg bildete. Alisa kam es vor, als sei sie in einem uralten Mausoleum, nicht in einer päpstlichen Schutzburg. Luciano nickte, als sie es laut aussprach.
»Ja, die Burg ist auf dem Mausoleum des Hadrian erbaut. Das ist die Urnenkammer und dort unten windet sich der Gang in einer riesigen Spirale bis in das Fundament hinunter. Aber dafür haben wir jetzt keine Zeit. Wir müssen zu dem Engel hinauf!«
Luciano kannte sich wirklich gut in der Burg aus. Er bog zwei Mal links ab und folgte den Treppen in einen Hof. Die beiden Mädchen erhaschten kurze Blicke in einst prächtige Gemächer, die heute offensichtlich keine Päpste mehr beherbergten, sondern als Lager und Waffenkammern genutzt wurden. Die bemalten Decken erinnerten an die Malereien der Domus Aurea.
Sie liefen über den Hof auf eine weitere Treppe zu. Alisa legte den Kopf in den Nacken. Dort war der
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