Nosferas
Fenster, das zur Kirche und dem kleinen Platz hinausführte, und schob den Vorhang beiseite. Wieder erklang das klagende Heulen.
»Wenn es nicht unmöglich wäre, würde ich behaupten, das ist ein Wolf. Ein weißer Wolf!«, stieß sie mit einem Keuchen hervor.
Carmelo trat neben sie. »In dieser Stadt ist nichts unmöglich!« Dann schwiegen sie für einen Augenblick und beobachteten das weiße Tier und die drei schattenhaften Gestalten, die ihm folgten. Sie bewegten sich so schnell, dass die beiden Menschen nur verschwommene Schemen wahrnahmen, bis sie auf dem Platz vor der Kirche anhielten und der Lichtschein der Lampe am Portal sie erfasste.
Carmelo räusperte sich. »Ich kann nicht sagen, ob das wirklich ein weißer Wolf ist oder nur ein großer Hund, doch wenn ich mich nicht täusche, dann sind die drei dort unten Vampire!«
»Sieh nur, wie elegant sie sich bewegen!«, hauchte Latona. »Und sie sind so jung.«
Carmelo warf sich seinen dunklen Umhang über die Schultern. »Das muss ich mir näher ansehen!« Seine breitschultrige Gestalt verschwand um die Ecke.
»Warte, ich komme mit!«, rief Latona, doch der Onkel hastete bereits die Treppe hinunter. Sie fluchte leise, schlüpfte in ein weites Hauskleid und ihren Mantel und rannte ihm nach. Im Hauseingang stieß sie hart mit ihm zusammen.
»Schsch! Dort drüben sind sie. Wir müssen versuchen, näher an sie heranzukommen, ohne dass sie uns bemerken. Das wird nicht leicht. Sie haben scharfe Sinne, und der Wolf erst!«
Trotz seiner großen und leicht untersetzten Gestalt huschte Carmelo leise zum nächsten Haus und drückte sich dann in die Schatten des Eingangs.
Latona folgte ihm. »Ich glaube, sie haben uns noch nicht entdeckt.«
»Ja, merkwürdig«, brummte der Vampirjäger.
»Was hast du vor?«
»Ich frage mich eher, was sie vorhaben. Oh mein Gott! Sieh, wohin der Wolf sie führt!«
Latona schlug die Hand vor den Mund. Es war ihr, als müsse sie die drei ahnungslosen jungen Vampire mit einem lauten Schrei warnen, doch das hätte ihr Carmelo nie verziehen.
»Untersteh dich!«, zischte er ihr ins Ohr. Anscheinend fühlte er genau, was in ihr vorging. »Bleib hier, ich versuche, an die Kette heranzukommen, sobald sie unten sind.«
Latona nickte stumm.
Seymour verschwand in der Finsternis unter dem Platz. Sein Winseln klang dumpf zu ihnen herauf.
»Sollen wir ihm folgen?« Alisa sah Ivy an und entdeckte zu ihrer Überraschung Unsicherheit in ihrem Blick.
»Ich weiß nicht so recht. Er will, dass wir hier warten, aber ich habe ihn noch nie so außer Fassung erlebt. Ich sollte bei ihm bleiben!«
»Er ist ein Wolf!«, sagte Luciano. »Du steigerst dich in etwas hinein. Dennoch bin ich neugierig, wohin die Treppe führt. Sie scheint nicht zu der Kirche zu gehören. Ich denke, sie ist viel älter - und das, was dort unten ist, ebenfalls!«
Er stieg die Treppe hinunter. Die Mädchen folgten ihm. »Seht nur diese fein bearbeiteten Marmorblöcke und die Gravuren. Seymour hat wohl eine Tempelanlage aufgespürt - vermutlich noch viele hundert Jahre älter als die Domus Aurea -, über der dann viel später die Kirche gebaut wurde.«
»Ja, aber die Ersten sind wir hier nicht!«, sagte Ivy und berührte einen Steinblock. »Ich spüre euren Familienclan und Menschen! Einen Mann und eine Frau, die hier mehrmals entlanggegangen sein müssen.«
»Seltsam«, meinte Luciano, »sehr seltsam!«
Sie sahen Abzweigungen und Nischen mit antiken Altären, Statuen längst vergessener Gottheiten und reich verzierten Gefäßen.
»Sollen wir umkehren?« Alisas Frage drängte nicht nach Zustimmung.
Die drei jungen Vampire passierten einen mit einem Tonnengewölbe überspannten Gang, der immer wieder abbog oder sich verzweigte, aber Ivy folgte der noch frischen Spur Seymours ohne zu zögern.
»Da ist er!« Sie lief auf ihn zu und ließ sich neben ihm auf die Knie fallen. »Was ist nur mit dir los?« Auch die anderen merkten, dass er ein Bild des Jammers bot. Ivy schlang die Arme um seinen Hals, doch er entwand sich ihrem Griff, jaulte und kläffte und zerrte an ihrem Umhang.
»Ja, wir verschwinden ja gleich von hier. Aber zuerst will ich sehen, was dir hier solche Angst macht.« Sie beugte sich über den Gegenstand, auf dem Seymours Schnauze gerade noch gelegen hatte.
Nun ließ der Wolf Ivy los und zog an Alisas Kleidern. Alisa stellte gerade verwundert fest, dass das Fell um die Schnauze schwarz verschmiert war, als Ivy einen Schrei ausstieß. Er klang so
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