Nosferatu 2055
herausfand, daß du nicht da warst.«
»Nur die reizende Elizabeth«, sagte Geraint schelmisch. »Keine Sorge. Sie ist bei Harrods und kauft das eine oder andere gräßliche Blumenzeug. Es wird nicht gutgehen, das tut es nie. Es ist zum Scheitern verurteilt, Gott sei Dank.
Hör mal, wenn du Hilfe dabei brauchst, die Ursache deiner Probleme aufzuspüren, habe ich drüben einen Freund, der dir helfen könnte. Er heißt Michael Sutherland. Brillanter Decker. Er könnte in fünf Minuten herausfinden, was Fort Knox gerade wert ist.« Serrin bedachte den Waliser mit einem ungläubigen Blick.
»Also schön«, räumte Geraint ein, »ich übertreibe. Vielleicht würde er auch sieben Minuten brauchen. Wir kennen einander von Cambridge. Ich hörte, unsere Freundin Francesca ist momentan bei den Saudis, also ist er die beste Möglichkeit. Ich kann ihn anrufen und dafür sorgen, daß er dir nur ein Minimum berechnet. Nein, warte, das kann ich noch besser. Ich stehe ohnehin in deiner Schuld.«
Daraus wurde Serrin nicht ganz schlau. Er hatte Geraint seit ihren ungewöhnlichen Erlebnissen im vergangenen Jahr in London nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gesehen. Sie hatten einen Jack-the-Ripper-Klon demaskiert und waren ganz tief in einen schrecklichen Schlamassel geraten. Am Ende war alles gut ausgegangen, aber Geraint war Serrin danach merkwürdig vorgekommen. Der Waliser hatte ein ausweichendes Verhalten an den Tag gelegt und sogar einen Anflug von Schuldbewußtsein erkennen lassen. Serrin vertraute Geraint uneingeschränkt, also machte er sich deswegen keine Sorgen. Er vermutete, etwaige Merkwürdigkeiten im Benehmen seines Freundes mußten mit dem unendlich raffinierten und trügerischen Netz der britischen Politik Zusammenhängen. Tatsächlich war Serrin sogar ganz glücklich darüber, nicht Bescheid zu wissen, wenn Geraint es ihm nicht erzählen wollte.
»Ich gebe dir eine Nummer«, sagte Geraint und nannte ihm dann eine Ziffernfolge, die auf eine feudale Manhattaner Adresse hindeutete. »Aber warte noch ein paar Stunden. Ich rufe ihn zuerst an und erinnere ihn an ein paar Gefälligkeiten, die er mir noch schuldet. Wie steht es mit Muskeln? In der Beziehung kann ich dir nicht helfen, jedenfalls nicht auf deiner Seite des Atlantiks. Oder soll ich dir vielleicht Rani schicken?«
Serrin lächelte. Das Punjabi-Orkmädchen war jemand, auf den man sich verlassen konnte, wenn es hart auf hart ging. Aber so schlimm standen die Dinge noch nicht.
»Laß mich zuerst noch ein paar Gesichter und Namen überprüfen«, sagte der Elf. »Aber trotzdem vielen Dank. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«
»Keine Ursache. Das ist doch selbstverständlich. Hör mal, wenn du wirklich ganz tief im Drek sitzt, gibt es immer noch mein Schloß in Wales. Ich sorge dafür, daß das Personal ständig mit dir rechnet, solange ich nichts Gegenteiliges verlauten lasse. Miete dir einen verdammten Privatjet, und ich zahle die Rechnung«, sagte der Waliser. Das Fluchwort klang beinahe komisch mit seinem Akzent.
»Ich hoffe, dazu wird es nicht kommen. Aber trotzdem, noch mal vielen Dank. Und ich rufe diesen Sutherland an, nachdem ich mich hier am Ort ein wenig umgetan habe«, sagte der Elf. Das lächelnde Gesicht seines Freundes löste sich auf, als die Verbindung unterbrochen wurde.
Serrin tippte eine Seattler Nummer ein, und das verschlafene Gesicht eines Orks erschien auf dem Bildschirm.
»Hey, Gulrank, ich brauche Schutz«, sagte der Elf schlicht. Jegliche Subtilitäten waren an diesem Samurai verschwendet.
»Ich kann dir nicht helfen«, sagte der Ork mit müder Stimme. »Ein Bursche vom Intelligencer , der irgendwelche Nachforschungen über die Niederungen des Lebens anstellen will, hat mich einen Monat im voraus bezahlt. Tut mir leid, Chummer.« Er wollte schon die Verbindung unterbrechen, als Serrin in drängendem Tonfall weitersprach.
»Gulrank, ich habe es mit John versucht, und er ist nicht in der Stadt. Torend auch nicht. Er ist nach Japan gezogen. Mir gehen die Namen aus, Chummer, und ich bin echt unter Druck.«
Der Ork hielt inne, um nachzudenken. Es dauerte eine Weile.
»Du könntest es mit Tom versuchen«, sagte er.
»Ihr Geister! Du meinst, Tom gibt es immer noch?« Serrin hatte nicht einmal entfernt an diese Möglichkeit gedacht. Der Troll war so zielstrebig auf Selbstzerstörung aus gewesen, daß Serrin die Hoffnung, ihn noch einmal lebend zu sehen, nach der letzten seiner endlosen Sauftouren praktisch aufgegeben
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