Nosferatu 2055
geraten hatte, dann nahm er ein Handtuch und schlurfte zum Badezimmer. Als er die Tür öffnete, ohne sich zuvor davon zu überzeugen, ob es frei war, lag ihm plötzlich ein fast nacktes Mädchen in den Armen, das gerade auf dem Weg nach draußen war. Völlig überrumpelt murmelte er ein paar zusammenhanglose Entschuldigungen, gerade als Kristen oben auf der Treppe erschien.
Das Mädchen huschte an dem wie versteinert dreinblickenden Serrin vorbei und ließ ihn stehen. Michael krümmte sich hinter ihm vor Lachen.
»Ich wußte nicht, daß es besetzt war«, verteidigte sich Serrin.
»Das galt im letzten Weltkrieg auch für Norwegen, und dort hat man etwas mehr Widerstand geleistet als du«, konterte Michael und verschwand in seinem Zimmer, so daß der Flur zwischen Serrin und Kristen leer war. Sie zischte dem die Treppe hinuntereilenden Mädchen hinterher, um dann Serrin anzufunkeln. Er suchte Zuflucht im Bad und sperrte hinter sich ab.
Was, zum Teufel, ist jetzt los? fragte er sich, als er sich Wasser ins Gesicht spritzte und den Rasierschaum auftrug. Ich bin fünfunddreißig, und sie ist nicht mal halb so alt. Es ist nicht Wollust, jedenfalls nicht von meiner Seite. Ist es eine Großer-Bruder-Geschichte? Warum habe ich das Gefühl, sie schon eine Ewigkeit zu kennen, während ich dieses Gefühl bei den meisten Leuten, auf die das tatsächlich zutrifft, nicht habe?
Warum, zum Teufel, habe ich mich gerade geschnitten?
Der Morgen verging in einem Wirbel aus Vorbereitungen, Einpacken und doppelten und dreifachen Überprüfungen aller Papiere. Schließlich verbrachten sie am Flughafen noch die unvermeidliche zusätzliche Stunde mit Warten auf den verspäteten Flug.
Dies war gewiß kein Suborbitalflugzeug. Wahrscheinlich eher der Stolz der 777A-Flotte von Federated Boeings, Baujahr circa 2020. Es fehlte nur noch das Logo der Internationalen Schrottverwertungsgesellschaft auf dem Seitenruder.
»O je«, sagte Serrin kläglich. »Hast du irgendwelche Informationen über Flugzeugunglücke hier in dieser Gegend ausgegraben?«
»Ja, aber ich wollte dich nicht beunruhigen. Die Chance, daß du wegen deiner Brieftasche in einem Überlandexpreß ermordet wirst, ist sowieso größer«, sagte Michael kühl. Da er nicht wußte, ob der Engländer scherzte, nahm Serrin sein Handgepäck und schlenderte durch die flirrende Hitze auf den Flughafenbus zu, der sich anbot, sie die letzten hundert Meter zu dem wartenden fliegenden Sarg zu befördern. Es kam ihm außergewöhnlich sinnlos vor. Er hätte die Strecke zu Fuß in einer Minute zurücklegen können, mußte statt dessen jedoch deren zwanzig in der Glutofenhitze des Busses schwitzen, bis auch die letzten schnaufenden Touristen eingestiegen waren.
Kristen packte seinen Arm, als sie vor der fahrbaren Metalltreppe standen, die zum Einstieg führte. Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß sie mit Sicherheit noch nie zuvor geflogen war, und er führte sie an der Hand zu einem Fensterplatz neben sich. Michael und Tom saßen vor ihnen. Als die Triebwerke zu dröhnendem Leben erwachten, drehte sich Michael zu ihnen um.
»Ach, und der Erste-Hilfe-Koffer ist auch rechtzeitig gekommen«, sagte er. »Er enthält die üblichen Dinge plus die eine oder andere Besonderheit. Dafür schulden wir Kristen Dank. Ihr Doc hat uns gut bedient. Und auch nicht zuviel dafür berechnet.« Er drehte sich wieder um, und sie lächelte glücklich. Kristen wußte nicht genau, wohin sie flogen und was diese Leute überhaupt suchten, aber ihre neuen Kleider fühlten sich einfach Sahne an, und sie hätte nie damit gerechnet, eine Gelegenheit zum Fliegen zu bekommen.
Das Flugzeug setzte sich in Bewegung und beschleunigte mit quälender Langsamkeit. Serrin wollte die Augen gegen die aufbrandende Panik schließen, mußte jedoch um Kristens willen versuchen, locker und entspannt zu wirken. Ihre Finger, deren Nägel bis zum Fleisch abgekaut waren, hatten sich tief in seinen Arm gegraben. Sie hatte Angst.
Mit der Eleganz eines dahinscheidenden Nilpferds hob das Flugzeug schließlich ächzend vom Boden ab und stieg steil in den klaren Himmel. Überall klickten Sicherheitsgurte, und plötzlich drehte sich Michael wieder zu ihnen um, sein Gesicht eine einzige Maske der Furcht.
»Paß auf! Terroristen!« zischte er. Von etwas weiter vorne ertönte ein scharfer Knall, das Geräusch eines Schusses. Serrin warf sich über Kristen und sah sich hektisch nach dem Schützen um. Michaels Gesicht verzog sich zu einem
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