Nosferatu 2055
daß er sie beschatten würde. Sie sagte wenig, befand sich, ihrer schroffen Knappheit nach zu urteilen, wahrscheinlich in einer ihrer nachdenklichen Stimmungen. Er ließ sich einen Platz in der nächsten Maschine nach Kapstadt reservieren und amüsierte sich über den Gedanken, daß er sie jederzeit anzeigen konnte, weil sie mit gefälschten Ausweisen unterwegs waren. Thompson, Randolph und Swiftwater, du liebe Güte!
Da er noch ein paar Stunden bis zum Abflug totzuschlagen hatte, ging er seine eigenen falschen Karten und Ausweise durch und suchte sich die besten aus. Außerdem packte er die Platin-Kredstäbe und eine Handvoll Banknoten mit hohem Nennwert in das Geheimfach in seiner Aktentasche. Am Zoll würden sie natürlich entdeckt werden, und er würde sich des Rituals unterziehen zu lächeln und die hocherfreuten Azanier zu schmieren, die so tun würden, als sei die Einführung von Kredstäben und Banknoten illegal. Nachdem er sich noch einmal vergewissert hatte, daß er alles eingepackt hatte, was er brauchte, rief er ein Taxi und wartete.
Der Flughafen von New Hlobane war nicht ganz das, was Serrin erwartet hatte. Er erinnerte sich vage an Johannesburg als an eine schmutzige, deprimierend amerikanisierte Stadt mit grausamer Armut in den Satellitenstädten und so viel Kriminalität, daß sich jeder New Yorker wie zu Hause fühlen konnte. Doch der Flughafen, die Fahrt durch die Vororte in die Stadt und die Skyline von New Hlobane selbst erweckten einen ganz anderen Eindruck. Pietermaritzburg, wie die Stadt geheißen hatte, bevor die Zulus sie umbenannten und im Zuge der Abkommen von 2039 zu ihrer Hauptstadt machten, schien sogar von chromblitzenden Industrieanlagen umgeben zu sein. Das Land war reich, soviel war klar. Und wenn es Nischen der Armut gab, dann waren sie verdammt gut versteckt. Der Eindruck von Eleganz und Stil, den er am Flughafen gewonnen hatte, verstärkte sich beim Anblick der weitläufig angelegten Prachtstraßen der Hauptstadt noch.
»Das ist unglaublich«, murmelte er Michael zu. »Soviel zu Klischees über unterentwickelte Nationen.«
»Das zweithöchste Pro-Kopf-Einkommen des Kontinents«, sagte Michael in sachlichem Tonfall. »Der Tourismus ist eine riesige Industrie, weil es hier sicher ist. Keine Banditen und Wilderer, die einen auf Safari erschießen. Im Norden gibt es Kohlefelder von der Größe Nebraskas, und dem König gehört obendrein noch die Hälfte von PWV. Sie haben ihr Geld gut angelegt. Du wärst überrascht, wie viele Schweizer Banken hier Zweigstellen unterhalten, und zwar nicht nur in New Hlobane.«
»PWV?« Serrin wußte nicht, wofür diese Abkürzung stand.
»Pretoria-Witwatersrand-Vaal. Der große Industrieplex. Ich dachte, du seist schon mal hiergewesen. Schließlich ist das ja auch nur die Verwaltungshauptstadt der Konföderation Azanischer Völker, die einzige Sache, die alle zusammenhält, Kaprepublik, Zulu-Nation, Oranje-Freistaat und Trans-Swasi-Föderation. Keiner war bereit, den PWV-Plex den anderen zu überlassen.«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Serrin vage. Er war zu sehr damit beschäftigt, nach der Taxifahrt die Lobby des Imperial in sich aufzunehmen. »Ist das nur Touristenkram?« Er war beeindruckt. Die Wandbehänge, Teppiche und batikartigen Drucke sahen gut genug aus, um einen Haufen Nuyen wert zu sein.
»Größtenteils«, sagte Michael. »Die Tierfelle sind natürlich nicht echt. In dieser Beziehung ist die Zulu- Nation sehr streng. Wildem zieht automatisch die Todesstrafe nach sich. Unerlaubter Waffenbesitz in der Wildnis wird mit mindestens zwanzig Jahren bestraft. Mit dem Tode, wenn sie der Ansicht sind, daß es sich um eine Jagdwaffe handelt. Eine der kleinen Merkwürdigkeiten hier ist die Tatsache, daß es weniger gefährlich ist, mit einer Sturmkanone in den Busch zu gehen als mit einem mickrigen kleinen Gewehr, zumindest im Hinblick auf das Gesetz. Schwere Waffen verderben die Felle.«
»Was ist mit den Nashörnern? Werden die nicht wegen ihrer Hörner gejagt?« fragte Serrin.
»Wo bist du in den letzten dreißig Jahren gewesen? Die einzigen lebenden Nashörner findest du im Zoo«, erwiderte Michael. »Oder auf Video.«
Er ging zum Empfang. Serrin mußte Kristen fast mit Gewalt mitzerren, da sie bereits mit einigen eindeutig feindseligen Blicken bedacht worden war.
»Herzlichen Dank«, schwärmte Michael, als er die Magnetkarten für ihre Zimmer in Empfang nahm, »es ist wirklich reizend, hier zu sein. Der Bus fährt
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