Nosferatu 2055
vergangen. Die letzte ausgiebige Nachtruhe lag so lange zurück, daß sie kaum noch wußten, welcher Tag war. Und dann die hektischen Anrufe, der Papierkram, die endlose Warterei auf dem Flughafen, die bizarre Zeremonie, die fast unter den Augen der Einwanderungsbehörde vollzogen wurde, ihre Fotografien, die auf die Karten geheftet wurden, die Ruhelosigkeit des Suborbitalflugs.
»Gott, hoffentlich kommen wir damit durch.« Michael holte tief Luft und legte einen Arm um Kristen, während die beiden Tom und Serrin voraus und zur Einwanderungsbehörde eilten. Der gelangweilte Beamte warf einen Blick auf Michaels Paß und führte ihn dann in einen Nebenraum.
Michael war der Ansicht gewesen, daß er seine echten Papiere benutzen mußte, wenn er sichergehen wollte, daß Kristen in New York einreisen durfte. Seine Papiere würden zu genau durchleuchtet werden, um es mit Fälschungen zu versuchen, wie gut sie auch sein mochten. Jetzt mußte er zwanzig Minuten schwitzen, bevor der Beamte eintraf, um mit ihm zu reden.
»Sie haben also eine entfernte Cousine geheiratet«, sagte der Mann, ohne den Engländer dabei anzusehen. Er hielt seinen Ausweis in der Hand, als könne er sich bei ihm mit Lepra anstecken, wenn er ihn zu lange behielt. »George, jag diesen Drek durch die Analyse. Und seinen Paß auch. Überprüf ihn so gründlich, wie es eben geht.
Ich habe nicht den Eindruck, daß Sie Amerikaner sind«, sagte der Inspektor entschieden, indem er die Arme vor der Brust verschränkte und ihn anfunkelte.
»Doppelte Staatsbürgerschaft. Vor zwei Jahren erworben. Ist alles völlig koscher.« Völlig übermüdet, klammerte sich Michael an den optimistischen Gedanken, daß sie ihn und seine Papiere überprüften und nicht Kristens. Zumindest hoffte er das.
Der Mann grunzte nur und wartete. Es dauerte weitere fünfzehn Minuten, bis George, der andere Beamte, zurückkehrte. Er gab Michael seine Papiere zurück und wandte sich an seinen Vorgesetzten.
»Es stimmt alles. Visuelle Identifikation des Mädchens. Sie ist es. Es ist alles in Ordnung«, sagte er.
»Schön. Und jetzt nimm dir das Mädchen vor«, sagte der erste Mann boshaft.
»Bitte«, sagte Michael verzweifelt. »Ich will meine Frau nach Hause bringen. Wir sind entfernte Verwandte, und unsere Familien stehen sich sehr nah. Ich bin amerikanischer Staatsbürger. Ich bin weit gereist und will nach Hause. Außerdem haben Sie vielleicht bemerkt, daß einer meiner Reisebegleiter Mr. Serrin Shamandar ist. Vielleicht haben Sie davon gehört, daß er vor ein paar Tagen dem Bürgermeister an der Columbia-Universität das Leben gerettet hat. Wir warten jetzt seit über einer halben Stunde, in der Sie unsere Unterlagen prüfen konnten, und jetzt sagen Sie mir, daß Sie uns noch länger hierbehalten wollen. Es tut mir leid, aber ich muß Sie bitten, mir ein Telefon für einen Anruf beim Bürgermeisteramt zur Verfügung zu stellen. Und würden Sie mir bitte auch Ihren Namen nennen?«
Der Mann musterte ihn mit blankem Haß.
»Das mit Shamandar stimmt«, murmelte George. »Der Elf war direkt hinter ihm. Ich habe ihn wiedererkannt.«
Michael hätte den Mann dafür küssen können, obwohl Georges Vorgesetzter eher so aussah, als wolle er ihn umbringen. »Also schön, Mister Sutherland, dann können Sie jetzt gehen.«
Michael verließ den Raum, wobei ihm das Herz im Halse schlug; draußen wartete Kristen. In der Ferne sahen sie einen Troll bei seiner vierten Tasse Kaffee sitzen und einen Elf mit viel zu vielen Zigarettenstummeln in dem Aschenbecher neben ihm.
Die kleine Gruppe verließ müde den Terminal und fand ein Taxi. Als Michael einem weiteren Fahrer ein weiteres Mal Anweisungen gab, fühlte er sich irgendwie von der Realität losgelöst, als sei seine Stimme die eines Roboters, der durch seinen Sprachsynthesizer krächzte.
»Nach Hause. Mann, so sehr habe ich mich noch nie danach gesehnt«, murmelte er zu niemandem im besonderen. Er warf einen Blick auf Serrin, als versuche er seine Blicke zu konzentrieren.
»Ich glaube, ich sollte mich bedanken«, sagte Serrin. »Teufel, nein, ich sage tatsächlich danke. Du bist voller Überraschungen, weißt du das?«
Michael lehnte sich zurück und fixierte den Elf mit eisigem Blick. Dann sagte er mit perfektem, pompösem englischen Akzent und gehässigem Unterton: »Was erlaubst du dir? Laß gefälligst die Finger von meiner Frau!«
23
Niall hatte immer gewußt, daß er eines Tages für seine Flugstunden dankbar sein
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