Nosferatu 2055
unterentwickelten Länder, welche die Brosamen nahmen, die HKB ihnen zuwarf, und keine Fragen stellten. Jeder Versuch, in das System dieser Abteilung einzudringen und herauszufinden, wem ein Stück von British Industrial und zumindest der Löwenanteil der Vereinigten Photosynthese gehörte, war blanker Wahnsinn. HKB hatte mehr Ice, als die Natur gebraucht hatte, um die Titanic zu versenken. Michael wußte, daß es unmöglich war. Er wußte auch, daß sie ihren Mann in diesem Fall nie finden würden. Es sei denn, Serrins Reporterfreundin konnte ihnen den entscheidenden Hinweis liefern, aber das hieße, zu sehr auf das Glück zu vertrauen.
»Warum hast du es getan?«
Er drehte sich auf seinem Stuhl zu ihr um. »Was hätten wir sonst tun sollen? Wir mußten hierher zurück. Es gab mindestens zwei Gruppen in Azanien, die Serrin ans Leder wollten, vielleicht sogar noch mehr. Er wollte nicht ohne dich gehen. Wenn wir versucht hätten, dich mit deinen falschen Papieren nach New York zu schaffen, hätten sie dich sofort nach der Ankunft in irgendeiner Rostbeule wieder zurück nach Azanien geschickt. Und wir hatten keine Zeit, ganz offiziell einen Paß zu beantragen.«
»Aber du kennst mich ja nicht einmal.«
»Nicht besonders, nein. Vielleicht hatte es etwas damit zu tun, daß du diese indischen Samurai aufgetan hast. Ohne sie wäre Serrin jetzt tot. Vielleicht war ich dir nur etwas zu dankbar. Ich konnte nicht mehr klar denken. Schließlich hatte ich eine Menge Blut verloren.«
Kristen zündete sich eine von Serrins Zigaretten an, obwohl sie ihr nicht besonders schmeckte. Sie war Stärkeres gewöhnt und vermißte es. Sie beschloß, ihn nicht noch einmal zu fragen, warum er diesen Teil nicht Serrin überlassen hatte. Er würde wieder nur das gleiche sagen, daß er ihre Beziehung nicht hatte ruinieren wol len. Er hatte ihr auch erzählt, wie einfach eine Scheidung nach dem einen vorgeschriebenen gemeinsamen Jahr sein würde.
»Ich will nichts haben«, sagte sie leise. Sie zog die Beine an, so daß sie jetzt fast die Embryonalhaltung einnahm, und sah ganz so aus, als würde sie jeden Moment zu weinen anfangen. Er ging zu ihr, setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die schmalen Schultern.
»Was tue ich hier?« sagte sie, gegen die Tränen ankämpfend. »Ich weiß nichts über diese Stadt. Ich kann hier nicht leben. Und jetzt habe ich auch noch einen verdammten Ehemann. Ich habe einen Ehemann, den ich vor vier Tagen kennengelemt habe. Vier Tage - das ist doch richtig, oder?«
»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte Michael, indem er sie irgendwie verwirrt anlächelte. Sie ließ die Hände sinken, die sie vor das Gesicht geschlagen hatte, und sah aus, als wisse sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sein Lächeln schien den Ausschlag zugunsten des ersteren zu geben.
Als ihre Heiterkeit abgeklungen war, hatte sich Michael einen Gin eingeschenkt. Ihrer Miene konnte er entnehmen, daß sie auch einen wollte. Er gab Eis aus dem Kübel in ein Glas und füllte den Gin mit Tonic auf.
»Was ist mit mir? Wie soll ich es meiner Familie erklären? Gut, mittlerweile sind sie wahrscheinlich längst zu dem Schluß gekommen, daß ich mehr auf Männer stehe, weil ich trotz meines vorgerückten Alters noch unverheiratet bin.«
»Und stehst du auf Männer?« fragte sie ihn.
»Ach was. Ich liebe Computer.«
Sie stieß ihn in die Rippen, überraschend hart. Er hatte schwer zu kämpfen, um den Schluck Gin-Tonic bei sich zu behalten, den er gerade getrunken hatte.
»Ich liebe ihn«, sagte sie plötzlich und mit Nachdruck. Michael fühlte sich wieder unbehaglich, da er nicht wußte, was sie als nächstes sagen würde.
»Ich weiß«, sagte er beinahe traurig. »Er liebt dich auch.« Ihm fiel keine aufmunterndere Bemerkung ein.
»Warum will er mich dann nicht haben?«
Michael dachte einen Augenblick nach. »Äh... ja, ich glaube, wenn ich von der Reporterin eines Schmierblatts hereingelegt worden, mit Betäubungspfeilen beschossen, in einer Woche in ein halbes Dutzend Länder gereist, entführt, von einem MG fast in ein Sieb verwandelt und auf einen Haufen Leute angewiesen wäre, die ich kaum kennen würde, und ich dann noch herausfände, daß irgendein verrückter vampirischer Elfenmagier gerade dabei ist, das Armageddon einzuläuten - wobei wir über das Wie noch im Dunkeln tappen -, stünde mir der Sinn wahrscheinlich auch nicht nach Liebe. Ich meine, das ist einfach ein Haufen Sorgen.« Er betete im stillen, daß Serrin
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