Notaufnahme
nicht in die Tat umsetzen. Okay, Jungs, wir sind jetzt nicht viel schlauer als am Anfang, oder?«
»Ich widerspreche Ihnen ja nicht gern, Alexandra, aber ich denke nicht, dass ich oder mein Labor Ihnen den Schlüssel zu Lösung liefern kann. Chapman wusste heute morgen vor seinem Besuch bei mir genauso viel über den Hintergrund von Gemma Dogens Tod wie jetzt. Was er aber nicht wusste, war, wo sich die Messerstiche genau befanden und welche inneren Verletzungen vorlagen. Das hat er erst erfahren, nachdem wir die Tote geöffnet haben. Tut mir leid, dass wir nicht mehr für Sie tun können, aber der Täter hat nicht die verräterischen Spuren hinterlassen, auf die wir alle gehofft haben. Wenn Sie ihn in näherer Zukunft finden«, bemerkte Kirschner an die beiden Polizisten gewandt, »werden sein Körper und seine Kleidung vermutlich mehr Aufschluss über die Tat liefern als die Tote. Ich habe keine Ahnung, ob sie ihn gebissen oder gekratzt hat, aber sicher hat er beim Verlassen ihres Büro ausgesehen, als käme er vom Schlachthof. Es muss mehr Blut an ihm geklebt haben als an einem Chirurgen nach einer Operation.«
Chet erinnerte uns daran, ihm die Bilder vom Tatort zukommen zu lassen, sammelte seine Polaroids ein und entschuldigte sich mit der Bemerkung, ihm bliebe bis zur nächsten Autopsie um drei nur noch eine halbe Stunde.
Mike, Mercer und ich packten unsere Sachen und verließen den Raum. »Ich verzichte auf mein Sandwich, Cooper. Sollen wir drüben noch ‘nen Kaffee trinken, bevor’s weitergeht?« fragte mich Mercer.
Auch mir war der Appetit vergangen. » Einverstanden. Vielleicht wird’s mir dann wieder etwas wärmer.« Wir gingen die Rampe hoch und traten auf den Gehsteig.
»Fährst du dann mit Cooper in Dogens Wohnung?« wollte Mike von Mercer wissen.
»Ja.«
»Ich führe im Mid-Manhattan ein paar Befragungen durch. Sehen wir uns später auf dem Revier, Blondie?«
»Wie kann ich euch jetzt noch helfen? Ich bin immer noch geschockt von Chets Aussage. Ich habe fest damit gerechnet, dass das Labor uns irgendwelche Hinweise geben würde, so dass wir vor dem Wochenende noch ein Stück weiterkämen. Zu alledem muss ich heute Abend in der Julia Richman High School einen Vortrag halten.«
Mercer schickte sich an, die First Avenue zu überqueren. Ich drehte mich um und grinste Chapman an. »Warum fragst du? Brauchst du mich etwa, Mickey?«
»Träum weiter, Blondie, träum nur weiter.«
10
Zwei Türsteher in weinroten Uniformen flankierten den Eingang des Apartmenthauses am Beekman Place, in dem Gemma Dogen gewohnt hatte; das Gebäude war nur wenige Schritte vom Krankenhaus entfernt. Wallace hielt dem älteren der beiden seine goldene Polizeimarke unter die Nase, woraufhin uns bereitwillig die breite Glastür geöffnet wurde.
Wallace lotste mich durch die Halle, vorbei an einem riesigen Strauß aus Forsythien und Weiden, die der tatsächlichen Jahreszeit weit voraus schienen. Dann betraten wir den Aufzug, und Wallace drückte die Zwölf.
»Verdammt«, murmelte er, als sich Türen zu einem düsteren Flur hin öffneten, der durch die dunkel gemusterte Textiltapete noch bedrückender wirkte. »Ich hab’ meine Kamera mitgenommen, falls du etwas fotografieren möchtest. Hab’ sie leider im Wagen liegen lassen. Es ist die dritte Tür links – Apartment 12C. Hier sind die Schlüssel; der größere gehört, ins untere Schloss. Geh schon mal vor – ich bin in fünf Minuten wieder da.«
Als sich die Lifttüren wieder schlossen, umfasste ich den Schlüsselbund etwas fester. Während ich einen Moment zögerte, fiel mir der herabbaumelnde Anhänger auf – eine Miniatur-Replik der Tower Bridge. Mit Mercer an meiner Seite hätte ich mich in Gemma Dogens Wohnung etwas wohler gefühlt.
Sei nicht albern, sagte ich mir. Es gibt keine Geister, und Mercer kommt gleich wieder.
Mit dem kleineren Schlüssel öffnete ich das obere Schloss, dann drehte ich den langen Sicherheitsschlüssel im unteren Zylinder. Der Knauf schien einen Augenblick lang zu haken, doch dann sprang die Tür auf. Im selben Moment hörte ich ein Geräusch hinter mir. Ich fuhr zusammen. Aber als ich mich umdrehte, sah ich nur die Schwingtür am Ende des Ganges in leichter Bewegung.
Auf dem Gang waren weder Stimmen noch andere Geräusche zu hören – und doch war ich mir ganz sicher, dass ich hinter der Glasscheibe in der Tür für Sekundenbruchteile ein Gesicht erspäht hatte. Ich fühlte mich unbehaglich, beobachtet, aber ich machte mir klar,
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