Notaufnahme
die juristische Sachlage mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis, und die Stunde verging wie im Flug. Als die Zuhörerinnen aufgerufen waren, Fragen zu stellen, wurde mir schnell klar, dass die Frauen – im Gegensatz zu den früheren Generationen – sehr wohl begriffen hatten, dass Vergewaltigung ein Verbrechen war, das auch in ihrem Leben eine Rolle spielen konnte. Ich war sicher, dass sich in dem Raum keine Frau befand, die nicht in irgendeiner Weise – direkt oder indirekt – schon einmal mit einem Sexualdelikt in Berührung gekommen war. Fast jede Frau, die ich traf, konnte von einer Freundin oder Verwandten, von einem Kind oder einer Erwachsenen berichten, die Opfer von sexuellem Missbrauch geworden war.
Während ich eine Zuhörerin nach der anderen aufrief, ihre Frage zu stellen, gingen die Helferinnen von Liddy McSwains Komitee durch die Reihen und sammelten die Kärtchen ein, die zuvor neben dem Gästebuch ausgelegen hatten, und brachte sie mir zum Rednerpult. Zuhörerinnen, die anonym bleiben wollten, konnten ihre Fragen niederschreiben.
»Das ist eine gute Frage«, kommentierte ich das erste Kärtchen des Stapels. »Sie lautet: ›Welche Rolle spielt bei Ihrer Arbeit die DNS-Technologie?‹« Trotz der Tatsache, dass diese Technologie uns im Fall von Gemma Dogen bisher nicht weitergebracht hatte, beantwortete ich die Frage mit großer Begeisterung. »Es handelt sich dabei mittlerweile um das wichtigste Werkzeug, das uns zur Verfügung steht. Wenn sich im oder am Körper des Opfers Sperma befindet, können wir anhand der DNS-Methode den Täter identifizieren bzw. die vom Opfer durchgeführte Identifizierung des Täters bestätigen. Für die Frauen bedeutet das im Prozess eine enorme Erleichterung – die Beweisführung basiert dann nicht mehr ausschließlich auf ihrer Aussage.« Genauso wichtig ist diese Methode übrigens auch beim Ausschluss von Tatverdächtigen. Wenn mir ein Strafverteidiger mitteilt, sein Mandant habe sich am Tag der Tat in Ohio aufgehalten, bitte ich ihn einfach um eine Blutprobe. Wenn die DNS des Tatverdächtigen nicht mit der des tatsächlichen Täters übereinstimmt, kommt es zu keiner Festnahme. Außerdem gibt uns die DNS-Methode die Möglichkeit, Täter zu überführen, die wir anders gar nicht erwischt hätten. Allein in den vergangenen Monaten konnten wir mit Hilfe dieser Methode vier Vergewaltiger überführen, die sich entweder an blinden Frauen vergangen oder ihren Opfern die Augen verbunden hatten. Noch vor zehn Jahren haben wir vom Werkzeug der Zukunft gesprochen – heute ist die Zukunft Gegenwart. Dank dieser Methode können wir immer mehr Fälle aufklären.
Auf den nächsten beiden Karten ging es um die Frage, ob und wie sich mein Beruf auf meine persönliche Sicherheit und mein Privatleben auswirkt. Tut mir leid, meine Damen, aber dieses Thema gehört nicht in eine öffentliche Veranstaltung.
»Diese Frage bezieht sich auf die Verurteilung von Vergewaltigern. Es ist nicht ganz einfach, diese Frage zu beantworten, da es unterschiedliche Verbrechensgrade gibt; auch Vorstrafen des Täters spielen bei der Verurteilung eine Rolle.« Nichtsdestotrotz ließ ich mich zu einem fünfminütigen Exkurs zum Thema Verurteilung und Festlegung des Strafmaßes hinreißen.
Liddy McSwain kam mir zu Hilfe, indem sie mir mitteilte, dass die Zeit nur noch für drei weitere Fragen reichte.
Ich griff nach dem nächsten Kärtchen, auf dem nach dem System im Umgang mit häuslicher Gewalt gefragt wurde, das das NYPD erst einige Wochen zuvor eingeführt hatte. Die folgende Frage war wieder einfacher; es ging um die medizinische Versorgung der Opfer von Kindesmissbrauch.
Bei der letzten Frage musste ich mir auf die Lippe beißen, um nicht laut loszulachen. Auf der Suche nach vertrauten Gesichtern ließ ich den Blick durch den Saal wandern.
In einer mir nur allzu gut bekannten Schrift stand auf der Karte: » Die Final Jeopardy-Antwort lautet: Es ist schwarz und zwölf Inches lang. Was ist …?« Am hinteren Ausgang des Saales standen Chapman und Wallace. Mercer kicherte mit nach vorne geneigtem Kopf, während Chapman mich todernst anblickte und mit dem Finger auf Wallace deutete.
»Tut mir leid, meine Damen, die restlichen Fragen beziehen sich auf den tragischen Tod von Dr. Gemma Dogen und die laufenden Ermittlungen. Sie werden verstehen, dass ich zu diesem Thema nichts sagen will und kann, aber Sie können sicher sein, dass in diesem Augenblick die besten Beamten der Stadt fieberhaft
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