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Notbremse

Notbremse

Titel: Notbremse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie hatten ihn offiziell enttarnt. Hocke lächelte zurück, doch es sah gezwungen und gekünstelt aus.
    »Darf ich fragen, was Sie zu dieser Annahme veranlasst?« Er wollte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen – jedenfalls äußerlich nicht. Er hatte einige Schulungen durchlaufen, in denen er auch auf solche Situationen vorbereitet worden war. Erst nachhaken, abchecken, prüfen – und dann den geordneten Rückzug antreten.
    »Nun«, der Chinese verlangsamte auf der linken Brücke seinen Schritt. »Sie sind in unser Land gekommen, weil Sie dem Irrtum unterlegen sind, uns böswillige Absichten unterstellen zu können. Wir könnten dies … ja, sagen wir es mal so … als einen Akt der Feindschaft betrachten.« Er sprach langsam und die Worte falsch betonend, während er den Wassergraben überquerte. Die beiden anderen Männer folgten in gleichbleibendem Abstand.
    »Es liegt mir fern, Ihnen in feindlicher Absicht begegnen zu wollen«, erwiderte Hocke. Sein Auftreten stand in krassem Widerspruch zu seiner inneren Unruhe. Er steckte lässig die Hände in die Hosentaschen.
    »Und doch ist es so«, fuhr Zhao fort. »Sie und Ihre Auftraggeber – wer immer diese sein mögen – wollen uns, den Vertretern der chinesischen Sportverbände, etwas unterstellen, das geeignet wäre, das Ansehen unserer Volksrepublik im Ausland zu schädigen. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass niemand in unserem Land – ich betone: niemand – dies akzeptieren kann.«
    Hocke nahm jedes einzelne Wort konzentriert auf. Er wusste, dass die Chinesen auch in brenzligen Situationen stets Haltung bewahrten und eine Freundlichkeit an den Tag legten, die von westlichen Besuchern oftmals falsch gedeutet wurde. Jetzt war Vorsicht angebracht.
    Sie näherten sich dem nächsten quer stehenden Gebäude, das zu dem riesigen Ensemble des Königspalastes gehörte und das, wie alle wichtigen Bauten innerhalb der Verbotenen Stadt, auf einer Längsachse aufgereiht war. »Übrigens, Mr. Hocke, wir stehen vor der Halle der Höchsten Harmonie.« Drei breite Treppenanlagen führten zu dem kolossalen, auf Säulen ruhenden Gebäude hinauf, dessen Pagodendach mit seinen geschwungenen Formen tatsächlich Harmonie ausstrahlte.
    »Harmonie ist etwas, woran uns sehr gelegen ist, Mr. Hocke«, fuhr Zhao fort und suchte sich abseits des Touristenstroms einen Weg nach vorn. »Und Ihnen hoffentlich auch. Denn ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass Disharmonie in allen Systemen negative Auswirkungen haben kann.«
    Hocke bemerkte den drohenden Unterton.
    »Und wie würde sich … diese Disharmonie in unserem Fall auswirken?«, fragte er langsam nach.
    »Nun, Mr. Hocke, Ihnen ist nicht entgangen, dass wir vieles über Sie wissen – und wie Sie in unser Land gekommen sind. Ich glaube nicht, dass es in den offiziellen Visumanträgen einen Hinweis auf Ihre Art des Aufenthalts gibt.« Zhao blieb stehen und sah den Deutschen von der Seite an. »Tourist sind Sie jedenfalls nicht.«
    Hocke schluckte. Ihm rann der Schweiß in kleinen Sturzbächen die Schläfen hinab. »Und was haben Sie mir nun zu sagen?«, ging er in die Offensive.
    Sie stiegen die Treppen zur Halle der Höchsten Harmonie hinauf, in der sich der berühmte Drachenthron befand. Vom Eingang aus durften die Touristenheerscharen einen Blick in das dunkle Innere werfen.
    Der weitere Weg führte seitlich durch die Säulenarkade.
    »Nun, Mr. Hocke, ich schlage vor, Sie haben sich beim Besuch unseres schönen Landes davon überzeugen können, dass es nichts gibt, was Ihre Arbeit rechtfertigt. Seien Sie sich bitte dessen bewusst, dass wir Ihre Absicht durchschaut haben.« Zhao stieg die Stufen hinter dem Gebäude hinab. »Der Westen kann es halt nicht lassen, uns zu diskriminieren. Aber das, was Sie uns unterstellen wollten, haben wir nicht nötig.«
    Hocke ging nicht darauf ein. Vor ihm erhob sich jetzt die kleine Halle der Vollkommenen Harmonie. »Es lag mir fern, Ihnen etwas zu unterstellen«, sagte er, obwohl er wusste, dass es eine leere Phrase war. Eigentlich könnten sie längst mit offenen Karten spielen, aber die chinesische Freundlichkeit gebot das offenbar nicht. Außerdem wollte er keine zusätzliche Schärfe in dieses merkwürdige Treffen bringen. Wenn die Chinesen diesen Ort gewählt hatten, um ihn mit dem symbolischen Hinweis auf Harmonie von einer Halle zur anderen durch die Verbotene Stadt zu führen, dann stellte sich doch die Frage, wie sie sich den Showdown vorstellten.

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