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Notbremse

Notbremse

Titel: Notbremse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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Gegensätze zwischen Arm und Reich, die dann aufeinanderprallten, desto heftiger wurde die vermeintliche Kundschaft attackiert.
    Hocke sah auf seine Armbanduhr. Es war kurz nach halb 11 Uhr. Er entfernte sich von den Gruppen, die sich hier am Ende des großen Platzes wieder sammelten, um gemeinsam mit ihren Touristenführern zur Verbotenen Stadt hinüberzugehen. Unweigerlich musste Hocke für einen Moment daran denken, dass es im Bereich des Südtores der weithin bekannte Karl Moik vor Jahren mal geschafft hatte, mit seinem kompletten Musikantenstadl hier zu gastieren. Im Geiste malte er sich aus, welche Verwunderung er damit wohl bei den Einheimischen ausgelöst hatte. Na ja, die Langnasen, so werden sie gedacht haben, das sind eben eigenartige Gesellen. Genauso wie die Fremden hier über die Chinesen staunten, die sich in den Grünanlagen und Parks, wie sie mit der Umkrempelung der Millionenstadt angelegt worden waren, zum Singen, Tanzen oder zur gemeinsamen Gymnastik trafen. Hocke war vorgestern zufällig Augenzeuge nachmittäglicher Zusammenkünfte geworden: Einige Senioren hatten einen krächzenden CD-Spieler mitgebracht und mitten in einem Park auf die Klänge der abgespielten Musik getanzt.
    Hocke versuchte, seine Gedanken wieder zu ordnen. Er durfte sich jetzt nicht ablenken lassen. Während er sich dem großen Tor näherte, das in dem unablässigen Touristenstrom wie ein Flaschenhals wirkte, an dem sich beidseits die Menschen stauten, ließ er seinen Blick wie einen Radarstrahl über die Umgebung gleiten. Er überstieg die obligatorische Schwelle, die überall den Eingang historischer Bauten zu Stolperfallen machte, womit jedoch böse Geister am Betreten gehindert werden sollten.
    Hocke interessierte sich jetzt nicht mehr für die kunsthistorische Bedeutung dieser einst hermetisch abgeschlossenen Stadt der Kaiser. Er hatte nur noch wenige Minuten Zeit, um den vereinbarten Treffpunkt dort vorn am Mittagstor, dem südlichen Zugang zur Verbotenen Stadt, zu erreichen. Als er vorgestern hier war, versuchte er sich vorzustellen, dass in dieser eigenen kleinen Welt vom 15. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts unzählige Kaiserdynastien geherrscht hatten.
    Als er das Tor mit seinen mächtigen, rotbraunen hölzernen Säulen durchschritt, sich in der Touristenmenge mühsam vorwärtskämpfte, bot sich vor ihm der Blick auf den Wassergraben, der als Goldwasserfluss bezeichnet wurde und über den sieben steinerne Brücken zum Kaiserpalast führten. Hocke blieb auf der erhöhten Fläche des Tores stehen. Er war am Treffpunkt. Irgendwo mussten sie doch sein. Sie – oder vielleicht auch nur einer. Er versuchte, jedes Gesicht, jede Bewegung in sich aufzunehmen. Ein kurzer Blick auf die Armbanduhr gab ihm die Gewissheit, dass die Zeit stimmte.
    Als er den Kopf wieder hob, näherte sich eine Menschengruppe. Gut gekleidete Männer. Die meisten waren vermutlich Chinesen. Sofort spürte Hocke, wie sein Blutdruck stieg und sein Herz zu rasen begann. Dieses Gesicht da, das zweite von links, kam ihm bekannt vor. Er war also doch gekommen.
     
    In Ulm war es 4 Uhr früh. Noch lag die Stadt im Dunkel der Nacht, denn jetzt, gegen Ende Juli, machte sich die tiefere Sonnenbahn schon wieder durch ein späteres Morgengrauen bemerkbar. Im Gebäude der Polizeidirektion brannte noch in einigen Räumen Licht. Die Beamten, die seit 21 Uhr im Einsatz waren, tranken im grell erleuchteten Aufenthaltsraum Kaffee. Einige gönnten sich auch ein kleines Pils. Jetzt war die Anspannung von ihnen gefallen. Sie saßen im großen Halbkreis um zwei zusammengeschobene weiße Tische herum. Die Gespräche drehten sich »um die verdammten Idioten«, die entweder mit anonymen Anrufen oder mit abgestellten Gegenständen Bombenalarme auslösten. »Ich würd’ sie fünf Jahre ins Loch stecken«, meinte ein älterer Beamter, der bereits die dritte Tasse Kaffee trank. Wenn es gelegentlich gelang, die Täter ausfindig zu machen, empfanden die Beamten jedes Mal eine gewisse Genugtuung. Zwar wurden die Täter, so jedenfalls die einhellige Meinung der betroffenen Ermittler, von der Justiz viel zu sanft angefasst. Doch dafür standen ihnen wenigstens hohe Schadensersatzforderungen ins Haus, die eine Strafe ohnehin weit in den Schatten stellten. Allein eine einzige Hubschraubereinsatzstunde schlug gleich mit über tausend Euro zu Buche.
    »Die Jungs, die sich mit diesem Zeug beschäftigen müssen, sind ja wirklich nicht zu beneiden«, meinte ein junger

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