Notbremse
Interessen und Gefühle vom Dienstlichen strikt zu trennen. Er bat die Frau, die fast einen halben Kopf größer war als er, ihm ins Obergeschoss zu folgen. Dort hatte er ein kleines Büro für das geplante Gespräch vorbereitet. Im Vorbeigehen an den offenen Türen deutete er den Kollegen ein Grinsen an, denn sie alle hatten gefrotzelt, welches ›Pferdchen‹ er wohl vernehmen wolle.
Linkohr bot ihr einen Platz an und drückte die Tür sanft ins Schloss. Er bedankte sich für die Bereitschaft, so kurzfristig nach Geislingen zu kommen und ließ sich neben ihr am Besprechungstisch nieder. Er roch ihr herbes Parfüm, das ihn schmerzlich an eine seiner Verflossenen erinnerte.
»Sie haben am Telefon gesagt, dass Sie wegen der Gesundheitsreform recherchieren«, ergriff sie die Initiative zum Gespräch und Linkohr spürte, dass sie nicht lange um ein Thema rumreden wollte. »Mir ist zwar nicht ganz klar geworden, weshalb Sie sich da an mich wenden und nicht an Pharmakonzerne direkt oder an die Ministerin Schmidt …«
»Tun wir auch«, log Linkohr. Ihm war klar, dass er jetzt vorsichtig sein musste. Diese Frau war hellwach und sicher keine einfache Gesprächspartnerin.
»Ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben. Erschrecken Sie jetzt bitte nicht. Aber wir ermitteln in einem Mordfall, der sich gestern hier in der Stadt zugetragen hat – genauer gesagt: in einem Zug.«
»Hab ich mir gedacht, als ich es im Radio gehört hab«, erwiderte sie und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück, als wolle sie damit ihre Distanz zu dem Kriminalisten unterstreichen. Linkohr schätzte, dass sie um die 30 war. Eigentlich passend für ihn, dachte er und verwarf den Gedanken sofort wieder. Trotz ihrer weiblichen Reize störte ihn dieses Auftreten, das ihn allzu sehr an das einer Emanze erinnerte. Davon hatte er längst genug. Noch bevor er etwas sagen konnte, fuhr sie fort: »Ich weiß nur nicht, warum Sie ausgerechnet mich herbestellen. Oder glauben Sie etwa, ich hätte etwas mit dieser Sache zu tun?« Ihr Gesichtsausdruck wurde härter.
»Nicht im Geringsten«, wiegelte Linkohr ab und schilderte, wie sie auf ihren Namen gestoßen waren. Allerdings verschwieg er die Einschätzung des Apothekers, wonach sie mit allen Waffen einer Frau um Aufträge kämpfe – obwohl sich dies Linkohr jetzt durchaus vorstellen konnte. »Reine Routine also – wir wollen von einigen Pharmavertretern, und dazu zählen eben auch Sie, nur etwas über die Gepflogenheiten in der Branche wissen. Ihre Aufgabe ist es, Apotheker und Ärzte zu besuchen?«
»Ja, natürlich. Ich bin freie Handelsvertreterin, was bedeutet, dass ich mehrere Produkte vertrete. In meinem Fall schwerpunktmäßig für ›Medatavita‹ in München, ein neues Vitaminpräparat. Aber auch für eine Reihe weiterer Unternehmen.«
»Auch hier bei uns?«, hakte Linkohr gleich nach.
»In Ulm, ja«, antwortete sie schnell. »›Donau Pharma AG‹, falls Ihnen das ein Begriff ist.«
Linkohr nickte eher beiläufig, obwohl ihn gerade dieser Punkt brennend interessiert hätte. Doch er wollte nicht gleich sein ganzes Pulver verschießen.
Ulrike Steinmeier ließ ihm keine Zeit für eine weitere Nachfrage. »Ich kann Ihnen gern schildern, wie so ein Tag abläuft. Heute bin ich auf der Fahrt nach Stuttgart.« Sie blickte auf ihre kleine, goldene Armbanduhr. »Sofern ich den nächsten Regionalexpress kriege. Ja, dann klappere ich dort fünf, sechs Apotheken und ein paar Arztpraxen ab.«
»Um Aufträge zu kriegen?«, ergänzte Linkohr fragend.
»Um für meine Produkte zu werben. Die Gesundheitsreform hat das Geschäft mit Medikamenten knüppelhart werden lassen, Herr Linkohr. Die Ärzte verschreiben weniger und wenn, dann sollen es nur Billigprodukte sein. Außerdem gibt es Verträge mit Krankenkassen.«
»Da gilt es dann, ein bisschen nachzuhelfen.«
»Nachzuhelfen«, echote sie, »wie das klingt! Ich weiß, Sie mutmaßen, dass geschoben und bestochen wird. Vergessen Sie diese Ammenmärchen aus der Presse. Von wegen die Ärzte mit Reisen und Ferienwohnungen locken! Okay, es mag zwar die eine oder andere Einladung zu einem Kongress geben, aber das sind, mit Verlaub gesagt, auch Informationsreisen. Ärzte sollen schließlich auch mal in andere Gesundheitssysteme reinschnuppern können.«
»In anderen Ländern?«, wollte es Linkohr genau wissen.
»Ja, auch mal in den USA oder in den Arabischen Emiraten, natürlich.«
»Oder China.«
»Auch das, selbstverständlich. Aber wenn Sie sich
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