Notbremse
das klingt aber nicht sonderlich freudig.«
»Der Job wird immer stressiger.«
»Ich hör das immer wieder«, sagte Sabine und rückte ihre kurzbehosten Beine in Horschaks Blickfeld. »Stress, Stress und nochmals Stress!«
»Umso wichtiger sind beschauliche Ecken zum Abschalten«, sah er ihr tief in die Augen. Sabine war Mitte 30 und einst eine erfolgreiche Wasserskiläuferin gewesen. Sie hatte Weltmeisterschaften gewonnen und viele andere Wettbewerbe. Dass sie gemeinsam mit ihrem Ehemann diese Anlage übernehmen konnte und ihr Bruder Markus als Betriebswirt die Geschäfte führte, war ein Glücksfall. Ihr Sport war zum Beruf geworden. Und noch immer trainierte Sabine fleißig, besuchte internationale Veranstaltungen, auch wenn sie nicht mehr selbst an großen Wettbewerben teilnahm. Dafür trainierten viele Teams an diesem ehemaligen Baggersee, der einst beim Bau der nahen Autobahn nach Kufstein entstanden war.
»Wasser und Sonne«, lächelte Sabine, »und viel Bewegung. Schwimmen, Bergwandern …« Ihr Blick ging zum ›Zahmen Kaiser‹ hinüber. »Ja, diese Gegend hier hat was.«
»Kann ich nachher mal eine Runde drehen?«, fragte Horschak und beobachtete, wie sich die Schlange vor dem Lift verlängerte. Vier Runden konnten die Skiläufer machen, dann klinkte sich das Schleppseil automatisch aus und sie mussten sich wieder aufs Neue hinten anstellen. Mehr als vier Runden, so wusste er, hielt man es kräftemäßig auch kaum aus – falls man nicht ohnehin schon vorher stürzte und ans nahe Ufer schwimmen musste.
»Klar, doch«, sagte Sabine, während eine junge Bedienung die beiden Cappuccini servierte. »Wie viel Zeit hast du denn?«
»Ich bleib bis zum Wochenende – im Gruberhof«
»Hast du dir also ein paar Tage freigenommen?«, interessierte sich Sabine. Direkt vor der Terrasse plumpste ein soeben gestarteter Läufer ins Wasser. Das losgelassene Schleppseil tanzte munter davon. Es würde seine Runde allein drehen müssen und nachher beim Ausgangspunkt automatisch vom Zugseil ausgeklinkt.
»So kann man das sagen«, antwortete Horschak und nahm einen Schluck. »Nicht immer läuft es so, wie man sich das vorstellt.«
Sabine überlegte einen Moment, ob sie nachhaken sollte, doch sie hatte den Eindruck, dass er es bei dieser Andeutung belassen wollte. »Vorgestern war Ulrike hier«, wechselte sie deshalb das Thema.
»Ach?«, staunte Horschak. »Ulrike? Allein?« Kaum hatte er dies gesagt, bedauerte er es auch schon. Sabine könnte den Eindruck gewinnen, ihm sei an Ulrike gelegen. Ulrike kannte er seit einigen Jahren. Sie war eine Kollegin, die einen kleineren Münchner Pharmaproduzenten vertrat, jedoch auch für Rieders ›Donau Pharma AG‹ unterwegs war und deshalb hin und wieder zu den Weekends, wie es offiziell hieß, nach Kiefersfelden eingeladen wurde.
Sabine grinste. Ihr war als scharfe Beobachterin nicht entgangen, dass er sich einmal sehr um Ulrike bemüht hatte.
»Sie schaut öfters mal kurz vorbei, wenn sie gerade drüben in Österreich zu tun hat«, erklärte Sabine. »Nein, allein war sie nicht«, fügte sie dann hinzu, brach dann aber ab, weil ihr Bruder jetzt freudig auf Horschak zukam. »Ja, sei gegrüßt, Uwe«, schüttelte er ihm die Hand und zog einen freien Stuhl heran, um sich zu den beiden setzen zu können. Markus war ein schlanker junger Mann, der erst vor wenigen Jahren sein Betriebswirtschaftsstudium abgeschlossen hatte. »Was treibt dich denn mitten in der Woche zu uns?«
»Stress. Hektik. Ich brauch ein paar Tage, um in mich zu gehen.«
»Hat dir Sabine schon erzählt, dass Ulrike vorgestern hier war?«
»Gerade eben, ja«, gab Horschak zu verstehen und wunderte sich, dass auch Markus diese Neuigkeit für so wichtig hielt.
»Wäre doch witzig gewesen, wenn ihr euch getroffen hättet«, meinte Sabine, um noch die ausstehende Antwort nachzureichen: »Aber sie war nicht allein.«
Aber, hatte sie gesagt, stellte Horschak feinfühlig fest. Aber. Das suggerierte doch, dass Sabine der Meinung war, ihm wäre es lieber, Ulrike käme allein an den See.
»So?«
»Ihr Berliner Bekannter war dabei«, erklärte Markus. »Aber der lernt’s wohl nie.«
»Schafft er noch immer keine Runde?«, staunte Horschak. Er entsann sich an den vergangenen Sommer, als dieser unsportliche Typ, an dessen Gesicht er sich aber nicht mehr erinnern konnte, immer und immer wieder versucht hatte, sich auf den Wasserskiern zu halten. Doch mehr als 50 Meter weit war er nie stehen geblieben. Horschak hatte
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