Notbremse
mit Häberle zusammen, um an derlei Aussagen von Managern berechtigte Zweifel hegen zu können. Was nach außen hin propagiert wurde, stand oft im krassen Gegensatz zu dem, was in den Betrieben abging. Häberle konnte sich trefflich darüber auslassen, wenn der eine oder andere Unternehmer in der Zeitung für seine geradezu phänomenalen sozialen Leistungen gewürdigt wurde, in Wirklichkeit aber Mobbing und Drangsalieren an der Tagesordnung waren.
»Sie fahren auch Wasserski?«, wollte Linkohr wissen.
»Wenig«, lächelte Rieder verlegen. »Um ehrlich zu sein, ich setz mich lieber gemütlich daneben, trink einen Cocktail und schau zu, wie andere ins Wasser fallen.«
»Und am kommenden Wochenende? Fahren Sie auch hin?« Für Linkohr war es eher eine beiläufige Frage, mit der er das Gespräch beenden wollte. Doch sein Gesprächspartner schien dies anders zu sehen. Sein Lächeln gefror.
»Wie darf ich jetzt diese Frage verstehen?«
»Nur so, interessiert mich eben«, gab sich der Kriminalist locker und steckte seinen Notizblock ein. »Das Wochenende steht an. Die Frage liegt doch nahe, oder?«
»Natürlich. Nein, ich fahr nicht nach Kiefersfelden runter, sondern nach Frankreich. Zur Tour de France. Will mir das Ende anschauen.«
Linkohr fiel plötzlich ein, dass er in diesen Julitagen viel über die Radsportveranstaltung gelesen hatte. Aber weniger über die sportliche Seite als vielmehr über die unzähligen Dopingfälle.
Hocke hatte sich zwingen müssen, etwas zu essen. Eigentlich war ihm der Hals wie zugeschnürt. Er trank viel zu viel Weißwein, ließ sich immer wieder nachschenken und versuchte, wenigstens das Hühnerfleisch und ein paar Salatblätter zu verspeisen. Die Bedienungen bemühten sich rührend um ihn, nachdem ihn sein chinesischer Gesprächspartner so plötzlich im Stich gelassen hatte. Seither arbeiteten in Hockes Kopf die Gehirnzellen auf Hochtouren. Wer, verdammt noch mal, hatte da plötzlich angerufen und diesem Mr. Zhao etwas erzählt – etwas, das nur ihn betreffen konnte. Mit dieser für westliche Besucher unerklärlichen chinesischen Freundlichkeit war Zhao weggegangen. Einfach so. Ohne Begründung. Es konnte nur eine einzige Erklärung geben: Man hatte ihn, den angeblichen Geschäftsmann, enttarnt. Wenn dies aber so war, dann würde es gewiss nicht bei dieser Reaktion bleiben, hämmerte es in seinem Kopf. Denn bei allem, was er wusste – und von dem mussten die chinesischen Kontaktleute ausgehen –, war er eine Gefahr für das gesamte Vorhaben. Und er war als Tourist in ein Land eingereist, das vermutlich keinen Spaß verstand, wenn er hier einer Tätigkeit nachging, die erstens für einen Ausländer nicht erlaubt war und die zweitens den Interessen zumindest eines Teils von Offiziellen zuwiderlief.
Nein, er brachte jetzt keinen Bissen mehr runter. Er schaute auf die Armbanduhr. Es war jetzt kurz nach 22.30 Uhr. Er wollte weg. Einfach raus. Doch es durfte nicht nach Flucht aussehen. Er konnte sich nicht sicher sein, ob er nicht observiert wurde. Mit einer Serviette wischte er sich den Mund ab, trank das Weinglas vollends leer und griff nach seinem Handy. Er drückte eine Kurzwahltaste und wartete, während er seinen Blick durch den Raum gleiten ließ, wo auf einem Sideboard ein rotgelber Drache den Hals reckte. Nach dem fünften Rufzeichen meldete sich eine Männerstimme, die dem Deutschen fremd war. »Wer ist dort, bitte?«, fragte er mit gedämpfter Stimme nach.
»Wer sind Sie denn?«, kam es zurück.
Hocke nahm das Gerät vom Ohr und schaute aufs Display. Die angezeigte Nummer stimmte.
»Hallo«, hörte er die fremde Stimme. »Bitte melden Sie sich doch.«
Hocke drückte die Austaste. Sein Herz schlug bis zum Hals. Er steckte das Gerät irritiert wieder ein.
Er erhob sich wie in Trance und konzentrierte sich auf den Weg nach draußen. Doch er hatte noch keine zwei Schritte getan, als eine Bedienung am Türrahmen erschien und ihm zulächelte.
»Thank you«, war alles, was er in diesem Moment aus seiner trockenen Kehle herausbrachte. Sein Lächeln wirkte gekünstelt. Er ging an der jungen Frau vorbei auf den langen Gang, wo aus vielen offen stehenden Türen Gelächter und Wortfetzen drangen, die für seine Ohren fremdländisch klangen.
Ein paar Meter weiter kam ihm aus einem der Räume ein korrekt gekleideter junger Chinese entgegen. Hocke hatte den Eindruck, als ob dieser Mann ihn im Vorbeigehen von oben bis unten musterte. Ein Spitzel? Einer, der sofort zum Handy
Weitere Kostenlose Bücher