Notbremse
nahezu ganz leer und erhob sich.
»Ich hoffe, Sie haben mich verstanden. Unsere Geschäftsbeziehungen sind beendet.« Er blickte auf den sitzenden Deutschen verächtlich hinab. »Sie dürfen gern weiteressen. Die Rechnung begleiche ich. Einen schönen Abend, Mr. Hocke.« Noch bevor Hocke etwas nachfragen konnte, war Zhao auch schon verschwunden. Er zog die Tür zu und ließ einen völlig irritierten Mann zurück.
21
Fludium war zum Bahnhof gefahren und hoffte inständig, dass der Regionalzug aus Stuttgart pünktlich sein würde. Der Kriminalist wartete auf dem verwaisten Bahnsteig. Tatsächlich traf der Zug zur angegebenen Ankunftszeit auf Gleis 2 ein. Fludium hatte keine Mühe, unter den fünf Passagieren, die ausstiegen, seinen Gesprächspartner zu erkennen. Der kleine rundliche Berliner mit dem fast kahlen Kopf machte auf ihn den Eindruck, als kugele er aus dem Waggon heraus. Die Wendigkeit dieses Mannes schien so gar nicht zu seinem Äußeren zu passen. Sein dünnes Leinenjackett flatterte am voluminösen Oberkörper, in einer Hand hielt er einen Aktenkoffer.
»Dat ick Sie schon wieder sehe …«, meinte er und schüttelte dem Kripobeamten die Hand.
»Danke, dass es so schnell geklappt hat«, erwiderte Fludium. »Manche Dinge bereden sich unter vier Augen besser als am Telefon. Sie können mit dem nächsten Zug weiterfahren.« Er deutete Probost an, mit ihm durch die Unterführung zum Bahnhofsvorplatz hinüberzugehen. »Hat gestern alles geklappt – mit der Weiterfahrt?«
»Bestens. Ein ICE hat uns mitjenommen. Ick konnte noch alles erledig’n.«
»Und nun geht’s wieder nach Ulm«, hakte Fludium nach, während sie durch die betongraue Unterführung gingen und der Zug über ihnen weiterfuhr.
»Ick hab tausend Termine. Und wenn Se sich nach den Jeschäftsführern richt’n müss’n, bleibt es nicht aus, dass Sie mal ’n Haken schlag’n müss’n.«
»Sie sind Handelsvertreter?«
»Ja, Werkzeuge aller Art – für Baumärkte. Alles, was mit Metall zu tun hat.«
Fludium ging an zwei Taxis vorbei zu seinem abgestellten Polo. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn wir uns im Auto unterhalten. Da sind wir ungestört und ich erspare Ihnen den Weg zur Dienststelle.«
»Keen Problem. Ist mir ooch recht«, sagte der Berliner und zwängte sich auf den Beifahrersitz, sodass die Federung des Wagens quietschte. Er legte seinen Aktenkoffer mit einem bunten Aufkleber, der fünf Comicfiguren in den Farben Blau, Schwarz, Rot, Orange und Grün zeigte, auf die Knie.
Fludium setzte sich hinters Steuer und kurbelte die Seitenscheibe herab, vergewisserte sich aber, dass sich niemand in Hörweite aufhielt. Dann erklärte er, weshalb er noch einige Details wissen wolle: wie die Augenblicke vor dem Stillstand des ICE abgelaufen seien und wer sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Gang aufgehalten habe. Doch so sehr er auch nachhakte und behutsam jeden Schritt rekonstruierte, mehr als das, was Probost bereits gestern zu Protokoll gegeben hatte, kam dabei nicht heraus.
»Nur zum Verständnis«, kam Fludium eher nebenbei auf den Kernpunkt seines Interesses. »Diese beiden anderen Zeugen, den Herrn Lemke und die Frau Waldinger, die kennen Sie nicht?«
Probost spielte mit dem Griff seines Aktenkoffers. »Ne, wat soll denn diese Frage?« Er sah den Kriminalisten irritiert von der Seite an.
»Nur so«, ruderte Fludium zurück. »Es hätte ja sein können, dass Sie irgendwie zusammen gereist sind.«
»Ick sagte Ihnen doch schon, dass ich alleene war.«
»Sie waren«, fuhr der Kriminalist fort, »am Mittwochvormittag relativ früh am Ulmer Bahnhof und haben den Mann, der später erschossen wurde, telefonieren hören – mit dem Handy.«
»Stimmt«, nickte der Berliner. »Hab ick ooch schon jesagt.«
Fludium versuchte, sich an die protokollierten Sätze zu erinnern. »Sie haben etwas gehört …«
Probost blickte durch die Windschutzscheibe auf den Bahnhofsvorplatz. »Sinngemäß hat es gelautet: Bis jetzt ist er nicht aufgetaucht – oder so ähnlich.«
»Und später noch etwas …?«
»Ja – aber dat könn’ Se doch alles nachlesen im Protokoll. Er hat gesagt: ›Diesmal nicht mehr. Darauf können Sie sich verlassen‹ – so jedenfalls hab ich dat im Gedächtnis.«
»Was uns merkwürdig erscheint – nehmen Sie mir das bitte nicht übel –, aber mit dem Handy des Toten wurde zu diesem Zeitpunkt von Ulm aus gar kein Gespräch geführt.«
Probost drehte seinen nahezu kahlen Kopf wieder zu Fludium. »Wie? Sie haben
Weitere Kostenlose Bücher