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Notizen aus Homs (German Edition)

Notizen aus Homs (German Edition)

Titel: Notizen aus Homs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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aber der Spezialist kann nicht kommen.
    Es kommt auch vor, dass sie Ärzte und Material weiter wegschicken, nach Rastan und Telbisa.
    Die Zahl der Verletzten schwankt. An einigen Tagen sind es drei oder fünf, verwundet von Scharfschützen. Wenn die Armee bombardiert, können es hundert oder hundertfünfzig Fälle werden. Sie führen keine Statistik. Vor drei Monaten ist die Armee eingedrungen und hat eine Röntgenaufnahme von der Brust eines Patienten gefunden, auf der sein Name stand. Der Name wurde an die mukhabarat weitergegeben.
    Die Leute von Baba Amr können wegen der mukhabarat nicht ins Krankenhaus gehen, und sie können nicht in die Privatkliniken gehen, weil sie arm sind. Im Krankenhaus verhaften die mukhabarat die Leute oder zumindest verhindern sie, dass diese behandelt werden, wenn sie erfahren, dass sie aus Baba Amr kommen.
     
    Die Diskussion wird politisch. Abu Abdu: »Homs ist eine große Stadt mitten in Syrien, umgeben von schiitischen und alawitischen Dörfern. Und die Regierung hat Waffen an die Dörfer verteilt, damit sie die Revolution bekämpfen. Da haben die Probleme angefangen, weil die Demonstranten von nun an nicht mehr nur gegen die Regierung, sondern gegen die Schiiten und Alawiten waren. Das hat enorme Konflikte ausgelöst. Wenn man dich jetzt erwischt und du bist aus Baba Amr, wirst du getötet.«
     
    Er zeigt mir einen Film, mit Musik hinterlegt, offenbar von YouTube runtergeladen, auf dem man zwei junge Männer sieht – einer aus Khaldije, der andere aus Baba Amr –, die in Zahra von schabbiha gefangen genommen wurden und bei lebendigem Leib mit einem Messer enthauptet werden. Ein ultradrastischer Film, ein Riesen-Blutgespritze. Die Killer legen die beiden Köpfe auf den Boden und pflanzen das Messer daneben. Der zweite Kopf auf dem Boden zuckt noch, sicher wegen des Bluts. » You see this? How can we stop when they do this? « 30 Abu Abdu sagt, er kenne die beiden Jungs, aber er kann mir ihre Namen nicht nennen, weil ihre Familien nicht wissen, auf welche Weise sie gestorben sind.
    »Zuerst kamen die schabbiha mit Stöcken und schrien ›Baschar, Baschar!‹. Dann kamen sie mit Waffen. Die Regierung sagt, es gebe ein Problem zwischen den Konfessionen, dabei ist sie es, die das Problem geschaffen hat. Die Regierung ist bereit, auf beiden Seiten Menschen zu töten, um den Konflikt zu schüren. Dann kommen die Alawiten ins Stadtzentrum, entführen Frauen, ficken unsere Töchter und filmen das. They put the videos on the web to say: ›See, we fuck Sunni girls.‹ For us this is very heavy, as Arab and Muslim people. « 31
    Im Gesicht des Arztes zucken, während er spricht, permanent kleine Ticks.
    Er schlägt mir vor, mich einer Gefangenen vorzustellen, die den schabbiha geholfen hat, Mädchen zu fangen und zu vergewaltigen. Sie war eine alawitische Prostituierte. Sie haben sie in einem Taxi geschnappt, ein Offizier und drei seiner Helfer sind geflohen (die Geschichte ist ein bisschen verworren), und das Mädchen hat alles erzählt.
     
    Ein heftiger Disput bricht aus zwischen Raed und einem bärtigen Soldaten, schwerfällig und aggressiv, mit einem großen Stirnband um sein volles Haar. Der Bärtige, Abu Bari, will uns das Mädchen nicht zeigen. Sagt, dass das nichts bringt. Sie haben sie schon anderen Medienleuten gezeigt, und es ist nie was dabei herausgekommen. Raed fängt wieder an zu brüllen. Es ist ermüdend, den ganzen Tag herumzubrüllen.
     
    In Wahrheit ist Abu Bari, wie ich später erfahren werde, kein Soldat, sondern ein Zivilist, der Verantwortliche dieser Klinik. Wir werden später noch Probleme mit ihm bekommen, und trotz aller Interventionen der FSA -Offiziere wird er uns kate gorisch verbieten, noch einmal den Fuß in seine Einrichtung zu setzen.
     
    Im Nebenzimmer, das von Heizkörpern gut gewärmt ist, erholen sich zwei Verwundete unter der Obhut von Krankenschwestern, die verschleiert sind, aber grüne Krankenhauskluft tragen. Ich darf sie fotografieren, nachdem sie ihre Gesichter mit Stofffetzen bedeckt haben. Der erste hat Mörsergranatsplitter in den Bauch, die Beine und die Schultern abbekommen, in der Brazil-Straße in Inschaat, vor vier Tagen. Er wurde im staatlichen Krankenhaus operiert und dann hierher verlegt. Der zweite wurde heute Morgen, als er, ebenfalls in der Brazil-Straße, Brot kaufen wollte, von einem Scharfschützen angeschossen und hat Kugeln in der Brust und im Arm. Er wurde in einem anderen Untergrund-Krankenhaus von Baba Amr

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