Notizen aus Homs (German Edition)
um den Hals. Diese Waffen wurden gekauft, im Libanon.
Ich lerne einen Satz: Asch-schaab jurid isqat an-nizam . »Das Volk will den Sturz des Regimes.«
Bevor wir schlafen gehen, saugt einer der jungen Männer Staub im Zimmer. Eine rührende Aufmerksamkeit.
Es ist seltsam, nach so vielen Jahren mal wieder in einer Bude voller junger Kämpfer und Kalaschnikows zu schlafen.
Freitag, 20. Januar
Baba Amr
Traum: Mein Freund E. kontaktiert mich in Panik. Er muss wegen Besitzes von Marihuana ins Gefängnis. Er hat große Angst, dort keines zu bekommen. Dann ist er in der Zelle. Verzweifelt. Er hat einen Nachbarn, dessen After mitten auf dem Rücken sitzt und der nur im Liegen neben einem türkischen Klo scheißen kann: »Der Arme. Es gibt Leute, die kein Glück haben.« Besuch mit einer Art Sozialarbeiterin. Endlos lange Tirade von E., der von seinem Pech erzählt. Ich höre nur mit halbem Ohr hin und fange an, etwas zu lesen. Plötzlich fällt mir auf, dass er heftig schluchzt. »Das alles ist nur, weil ich keinen Vater hatte«, schreit er. »Es ist zu hart für ein Kind, ohne Vater aufzuwachsen.« Er stampft mit dem Fuß auf, das Gesicht verkrampft, ich sehe ihn endlich an und stelle fest, dass er ein kleiner blonder Junge ist, der sich in einen Wein- und Angstanfall reingesteigert hat. Er ähnelt meinem Sohn Emir. Ich breite die Arme aus, er kommt zu mir, ich drücke ihn an mich, während er leidenschaftlich weiterschluchzt.
Frühstück: Omelette, Tomaten, zatar , labneh , Oliven, Käse.
Ein junger Mann tritt ein, wir stellen uns vor, und er will sofort eine Geschichte erzählen: Er hat einen Freund, der wegen eines Traums drei Monate im Gefängnis saß. Er hatte geträumt, dass er den Tross des Präsidenten fuhr; er hat es Freunden erzählt, ein Spitzel hat ihn denunziert, und er wurde verhaftet.
Alle hier haben eine Geschichte, und sobald sie einen Ausländer sehen, wollen sie sie ihm erzählen.
Imad hat eine Kugel durch den linken Knöchel bekommen, einen Querschläger, während eines Angriffs der Armee im Oktober, kurz vor dem Opferfest. Die Kugel hat das Gelenk durchtrennt, und er konnte in keine Klinik gehen. Er wurde von einem Apotheker behandelt, es ist schlecht verheilt, es tut immer noch weh und er humpelt.
Wunderschön sonniger Tag. Von oben vom Gebäude Blick über die Dächer von Baba Amr, viele Rohbauten, aber manche zum Teil schon bewohnt, wie überall in Syrien. Im Nordosten, hinter dem al-Bassel-Stadion, große Hochhäuser, eines davon noch ein Rohbau, auf denen sich Scharfschützen der Armee verstecken. Dann die Obstgärten, die riesige Chemiefabrik und der See, unsichtbar. Das Zentrum von Homs ist auf der anderen Seite, von hier aus auch nicht zu sehen.
10.30 Uhr. Besuch mit Imad in Haqura. Liegt verlassen in der kalten Sonne, kein einziger Bewohner, die Straßen leer, ausgestorben. Nur von Zeit zu Zeit ein FSA-Soldat, Kalaschnikow oder RPG auf der Schulter. Auf dem Boden Kugeln, Patronenhülsen, Granatsplitter, überall Abfälle. In der Nähe der FSA-Kommandozentrale von gestern sind einige Gassen mit Mauern aus Sandsäcken versperrt. Ein Mann ist zu seinem Haus gegangen, um ein paar Sachen zu holen. Er ist vor vier Monaten weggezogen, weil die Kinder die Schüsse nicht ertrugen.
Der äußere Rand des Viertels ist sehr zerstört. Diese Zone ist stark beschossen worden, besonders im November, überall auf dem Boden sieht man Einschlaglöcher von Mörsern. Hassans Haus, komplett verwüstet. Ich fotografiere Hassan vor den Ruinen, von hinten, mit seinem Baby auf der Schulter. Einige Ecken sind gefährlich, Schussachsen der Scharfschützen, wir gehen schnell, dicht an den Mauern entlang. Etwas weiter betreten wir ein anderes zerstörtes Haus. Auf dem Boden Projektile der Luftabwehrbatterie, der Schaft einer Mörsergranate, russisches Material, 82 mm. Durch ein zerplatztes Fenster kann man einen Posten der Armee sehen, 50 Meter entfernt. Man darf nur verstohlen hinschauen, von dort wird geschossen. Abu Jazan, einer der Soldaten, hält seine geladene Pistole in der Hand. Hassan hat immer noch sein Baby auf dem Arm.
Haus. Löcher in den Wänden, Treppen. Durch ein Fenster sieht man gut den Posten, eine kleine Basis ist es, ein dreistöckiges Gebäude mit einem genau daneben parkenden zerstörten Laster und Balkonen, die mit durchlöcherten Sandsäcken bedeckt sind. Auch hier darf man nur kurz schauen, unauffällig. Der Posten wirkt verlassen, aber Abu
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