Notizen aus Homs (German Edition)
Rückkehr in Hassans Wohnung. Die Männer sitzen um den Ofen herum und erzählen ihre Heldentaten. Ich trinke Whisky, was sie nicht zu stören scheint. Die Atmosphäre ist deutlich heiterer als in der Klinik von Abu Bari. Raed erklärt mir, dass die Aktivisten ein Informationsbüro eingerichtet haben und dass sich alle Journalisten dort anmelden müssen, bei diesem Dscheddi, mit dem er sich vorhin gestritten hat. Die Linie des Büros ist klar, man darf alles, was friedlich ist, fotografieren, Demonstrationen, Humanitäres, Leiden der Zivilbevölkerung etc., aber sehr viel weniger alles Militärische, die FSA und ihre Aktionen.
Bassam, einer der Soldaten, erzählt uns von einem Angriff, der vor drei Tagen stattgefunden hat. Ungefähr vierzig Soldaten wollten desertieren, aber sie wurden von den Sicherheitskräften festgehalten, die sie im von Bassam so genannten Turm einsperrten, einem großen Gebäude in der Brazil-Straße. Die Soldaten, die exekutiert werden sollten, waren im neunten Stock; die Sicherheitskräfte hatten sich im achten Stock verschanzt. Bassam hat mit zwei Freunden den Turm mit einer RPG angegriffen, drei Raketen auf die achte Etage abgeschossen und einige mukhabarat getötet. Dann haben sie verhandelt: Lasst die Deserteure frei, oder wir töten euch alle. Die vierzig Männer sowie zwei Zivilisten konnten gehen.
Danach rezitiert Bassam ein klassisches arabisches Gedicht. Eine wunderschöne Musik, rhythmisch, emphatisch, mit starken Betonungen, schön zum Zuhören, selbst wenn ich kein Wort verstehe. Raed kannte einen Offizier, der jeden Tag Gedichte rezitierte, es floss aus seinem Mund heraus wie Wasser. Aber er ist tot.
Bassam hat ein schönes Gesicht, fein, spitz, mit einem sauber gestutzten Bart und durchdringenden Augen, und ein Stirnband um den leicht kahlen Schädel. Ein Gesicht wie ein tschetschenischer Bojewik in den glorreichen Zeiten. Er ist kein Deserteur, sondern ein Zivilist, der zu den Waffen gegriffen hat. Junggeselle, ungefähr dreißig, er kommt nicht von hier, sondern vom Land in der Gegend von Aleppo. Als er die Verbrechen des Regimes sah, die Vergewaltigungen, Morde usw., beschloss er vor einem Monat, von Aleppo nach Baba Amr zu kommen und sich der FSA anzuschließen. Er hat hier an der Universität einen Neffen, der im Koordinierungskomitee einer anderen Stadt war und ihn in der FSA eingeführt hat. Danach haben sie gesehen, wie er sich im Kampf verhielt.
Vorher war er Journalist; er bekommt immer noch Angebote von Magazinen.
»Hier in Baba Amr seid ihr in einem Staat im Staat. Das ist das sicherste Viertel von ganz Syrien. Die Leute gehen nachts auf die Straße, sie haben keine Angst vor Scharfschützen. Assads Panzer müssten schon über unsere Leichen rollen, um zu euch zu gelangen.«
»Wir kämpfen für unsere Religion, für unsere Frauen, für unsere Erde und schließlich, um unsere Haut zu retten. Sie kämpfen nur, um ihre Haut zu retten.«
Er leugnet, dass der Konflikt von ihrer Seite aus eine fanatisch-religiöse Dimension hat: »Wir töten keinen Menschen aufgrund der Religion. ›Wenn jemand einen Menschen tötet, der keinen anderen getötet, auch sonst kein Unheil auf Erden gestiftet hat, so ist’s, als töte er die Menschen allesamt‹, sagt der Koran.«
Er erzählt mir von ihrer Organisation. Baba Amr wird kommandiert von einem madschlis askari , einem Militärrat, der von Abderrazzaq Tlass und einem Dutzend anderen Offizieren geleitet wird. Bassam steht unter ihrem Befehl. Der Rat versucht, den Männern einen gewissen Verhaltenskodex einzuschärfen, eine gewisse Ethik. Sie kommen aus der Armee, wo man ihnen extreme Praktiken beigebracht hat: Sie sind zu allem bereit, würden jeden töten. Der Militärrat versucht, ihnen eine moralische Bildung zu vermitteln. In der Armee haben die Leute auch die Angewohnheit, aggressiv und unhöflich mit den Menschen umzugehen. Der Militärrat versucht, diese Gewohnheiten zu ändern, damit die FSA-Soldaten gute Beziehungen zu den Zivilisten haben. Er gibt mir Beispiele für korrektes Verhalten: Wenn sie Offiziere gefangen nehmen, misshandeln sie sie nicht, sondern diskutieren mit ihnen, fragen sie: »Warum tötet ihr uns?«
Mitternacht. Raed zeigt seine Arbeiten, die anscheinend Eindruck machen. Im Flur sind die Soldaten immer noch damit beschäftigt, Waffen auseinanderzunehmen, zu reinigen, einzufetten. Noch eine belgische 5,56 mm, in der Hand eines pausbäckigen Soldaten in Tarnuniform mit Bart und weißer Kufije
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