Notizen aus Homs (German Edition)
Khaldije.
Der Pfleger, der danach mit uns spricht, Abu Abdu, hat in der Privatklinik al-Birr gearbeitet, im Waar-Viertel. Und im Krankenhaus von Bab Sbaa. Hat sehr oft solche Fälle gesehen, 150–200 mindestens. Glaubt, dass die Scharfschützen auf die Wirbelsäule zielen. Es sind kleine Kugeln, Scharfschützenkugeln, keine verirrten Kalaschnikowkugeln. Hat auch zahlreiche Menschen gesehen, die von, wie er sie nennt, explosiven Kugeln verwundet wurden, vielleicht Dum-Dums.
Bilal zeigt mir wieder etwas auf seinem Handy. Ein Mann, dessen ganzer Bauch offen ist, Lunge und Gedärme hängen heraus, die Ärzte versuchen sie wieder hineinzustopfen. All diese Handys sind Museen des Horrors.
Fortsetzung von Bilals Geschichte. Bilal ist, als die Armee das Feuer eröffnet hat, weggelaufen und hat versucht, dem Hinterhalt zu entkommen. Er klopfte an Türen und flehte um Einlass, niemand machte auf, schließlich hat er eine Tür eingetreten, um in eine Wohnung zu kommen. In diesem Augenblick traf ihn die Kugel in den Arm. Die Armee begann, mit Maschinengewehren auf die Wohnung zu feuern. Ein sechsjähriges Mädchen bekam eine Kugel ins Bein. Es weinte: »Onkel, Onkel, ich war doch nie auf den Demonstrationen.« Er hatte schon die FSA angerufen, die, sagt er, 200 Mann Verstärkung schickte. Einige sind von hinten in die Wohnung gekommen und haben ihm eine Waffe gegeben. Sie haben einen Gegenangriff gegen die Armee gestartet, um den Verletzten in Sicherheit zu bringen. Das ist der Moment, den man in Bilals Film sieht, der Moment, in dem er schießt. Sie hatten Erfolg, und der Verletzte hat wundersamerweise überlebt.
Dieses Gesundheitszentrum war früher ein Frisiersalon. Schon seit zwei Monaten geöffnet. Es gibt noch ein weiteres in Khaldije. Das Zentrum, das Raed kannte, wurde von den mukhabarat entdeckt, der Arzt verhaftet, das Material konfisziert und die Tür versiegelt. Es gibt keinen Arzt in den Untergrund-Krankenhäusern, der einzige Arzt wurde verhaftet. Sechs Kollegen von Abu Abdu sind ebenfalls verhaftet worden, und er hat sein Krankenhaus verlassen, aus Angst, seinerseits verhaftet zu werden.
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Bilal bringt uns ganz knapp hinter die Grenze des Viertels, nach Bajada, wo wir schlafen werden. Er hat ein schönes Auto, einen großen Geländewagen mit Ledersitzen, Automatik, er ist sichtlich kein mittelloser Mann. Wir überqueren schnell eine Straße, auf der sich 100 Meter entfernt eine Straßensperre der Armee befindet, dann sind wir in einem engen Viertel mit FSA-Männern. Die Wohnung gehört einem Freund, der verreist ist, er hat die Schlüssel dagelassen, damit Verletzte dort untergebracht werden können; in einem Zimmer schläft einer, der vor zwei Wochen von Schüssen in die Brust und den Bauch verwundet wurde.
Dies ist das Viertel der Kaukasier. Arif, ein kleiner junger Mann mit Kufije, der bei uns sitzt, ist tscherkessischer Abstammung. Bilal selbst ist Beduine.
Ich habe noch Fieber und frage, ob mir jemand Ibuprofen besorgen kann. Ich versuche, einen Geldschein zu übergeben. Bilal: »Wenn du Geld anbietest, heißt das, dass du geizig bist. Weil du, wenn ich zu dir komme, keine Gastfreundschaft anbieten willst.«
Erklärungen von Bilal. Die Offiziere des Checkpoints werden alle zwei Wochen ausgetauscht. Wenn es Offiziere der Armee sind, geht es, dann ist es ruhig. Wenn es mukhabarat sind, wird die ganze Zeit geschossen. Im Moment ist auf der Kairo-Straße, der großen Straße, die wir überquert haben, ein mu khabarat . Gestern hörten sie gar nicht mehr auf zu schießen, drei Stunden lang hat der Scharfschütze niemanden über die Straße gelassen.
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19 Uhr. Immer noch Fieber. Es ist die Zeit der Demonstration. Wir gehen zum zentralen Platz von Khaldije. Die Leute sind noch nicht da, nur ein paar Dutzend Jugendliche, die über die Lautsprecher revolutionäre Musik hören, zu laut, aber sehr mitreißend. Der Platz, der »Hochgärten« hieß, wurde umgetauft in »Platz der freien Männer«. In der Ecke hat man eine Holzkopie der alten zentralen Turmuhr von Homs aufgestellt, schwarz-weiß angemalt, das Original steht auf einem Platz, auf dem vor einigen Monaten von den Kräften von Maher, dem Bruder Baschars, ein Sit-in-Versuch in einem Blutbad ertränkt wurde. Bedeutung dieser Kopie: Das Stadtzentrum ist jetzt hier . Die Uhr ist von Märtyrerfotos bedeckt, die meisten in Farbe, A4-Format.
Großer rechteckiger Platz mit Rasen und Bäumen, umringt von kleinen
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