Notizen aus Homs (German Edition)
hervor. Es ist dasselbe fröhliche Ritual, die Leute haben sich längs der Moschee auf der Straße aufgereiht, dieselben Gesänge, dieselben Parolen, plus einige neue:
»O Mutter, sie haben den Kindern mit ihren eigenen Händen die Kehle durchgeschnitten!« [ Anspielung auf das Massaker von Nasihin vom Vortag. ]
»Das Volk will die Todesstrafe für den Schlächter!«
»Das Volk will die Militarisierung der Revolution!«
Unter dem Anführer breiten Männer Spruchbänder aus, die unser frankophoner Freund gedruckt hat. Dieser Freitag ist der des Rechts auf Selbstverteidigung.
Ein Jugendlicher schwenkt auf der Demonstration eine türkische Fahne. »Warum?«, frage ich Abu Bilal. – »Sie haben keine anderen!«
Hinter der Demonstration marschiert ein Dutzend FSA-Soldaten vorbei, in Tarnuniform, drei haben sogar Helme auf. Sofort fängt die Menge an zu skandieren: »Es lebe die Freie Armee!« Die Jungen laufen hinter ihnen her und umringen sie. Ich gehe auch hin, in eine Ecke in der Nähe des FSA-Checkpoints. Die Offiziere haben sich in einen großen Geländewagen gezwängt, drei Soldaten stehen hinten auf der Stoßstange. Es sind ein raed , ein naqib und ein mulazim awwal . Sie sagen Raed, dass sie gekommen sind, um die Demonstration zu sichern, aber vielleicht sind sie auch gekommen, um sich zu zeigen. Ein Junge ruft seinem Vater zu: »Das sind sie, das sind sie, das ist die Freie Armee!« Langsam fahren sie auf die Demonstration zu und tauchen in die Menge ein, die ruft: »Möge Allah das Leben der Freien Armee verlängern!« Bad in der Menge, drei Soldaten stehen auf dem Dach, dann fahren sie weiter und sind außer Sichtweite. Auf einmal beginnt es wieder zu regnen, und die Demonstration ist zu Ende.
Die FSA-Männer kommen zurück, und ein alter Mann auf einem Motorrad leert lachend sein Magazin in die Luft. Dann fängt etwas weiter weg ein Posten der Armee an zu schießen.
Offenbar hat die FSA gestern die Straßensperre von Zahra unter Beschuss genommen, von der die Männer gekommen waren, die die Familie umgebracht haben. Dass sie sich heute so zahlreich zeigen, dient sicher auch dazu, die Bevölkerung zu beruhigen. Der Geländewagen mit den Offizieren dreht nach dem Ende der Demonstration weiter seine Runden. Und die Leute sind sichtlich froh, sie zu sehen, übrigens auch, uns zu sehen, wenn man mal von den Paranoiakrisen absieht. Für viele Syrer scheint unsere Anwesenheit ebenso sehr ein Beweis moralischer Unterstützung wie das Versprechen zuverlässiger Informationen für das Ausland zu sein.
Ich hole mir ein paar Äpfel und Mandarinen beim Obsthändler. Er ist einer der Männer, die mich vorhin aufgehalten haben, und er lässt mich nicht bezahlen. Rückkehr im Regen. In der Nähe unseres Hauses lockt mich ein köstlicher Duft zu einem Kebab-Verkäufer. Elf Tage in Syrien, und ich habe noch keinen einzigen Kebab gegessen. Wir bestellen ein Kilo, für alle, der Sohn des Verkäufers wird es uns in einer Stunde nach Hause bringen.
Zu Hause ist Andschad, zurück aus Bab Sbaa. Drei Verletzte, einer davon schwer, von einer Kugel, die ihm beide Beine durchschlagen hat. Die Schüsse von der Zitadelle haben wieder angefangen. Für einen Freitag wirkt es aber dennoch ruhig.
Die FSA hat gestern an drei Stellen angegriffen: Straßensperren in Zahra, Straßensperren auf der Straße nach Damaskus, am Eingang zum Midan-Viertel, und die militärische Sicherheit auf dem Haddsch-Aatef-Platz, im Viertel Midane. Sie sollen in das Gebäude reingegangen sein. In den Vierteln haben sie zahlreiche Straßensperren eingenommen, die Soldaten getötet, die Waffen und die Munition konfisziert und sich wieder zurückgezogen. Gegen Panzerfahrzeuge können sie die Positionen nicht halten. Die Operationen wurden von den Leuten aus Baba Amr geleitet, der katiba al-Faruq.
Andschad zufolge versucht die FSA im Prinzip, die Soldaten der Armee, die sich ergeben, nicht zu töten und die Offiziere gefangen zu nehmen, auch die mukhabarat . Aber die schabbiha exekutieren sie systematisch.
Video von der Demonstration von Bab Sbaa. Ein Porträt Putins wird zusammen mit dem Baschars verbrannt. Die Demonstranten schlagen mit ihren Schuhen darauf.
Endlich kommen die Kebabs. Ein Tischtuch wird am Boden ausgebreitet und alle setzen sich drum herum, selbst Abu al-Hakam, der Kleine, der uns immer den Tee bringt. Köstlich.
*
16 Uhr. Wir gehen raus. Unglaubliches Licht, die Sonne bohrt sich durch die
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