Notizen aus Homs (German Edition)
Dreien der Kinder wurde die Kehle durchgeschnitten, den anderen wurde aus allernächster Nähe in den Kopf geschossen. Zwei Kinder haben überlebt, Ali, ein dreijähriger Junge, und Ghazal, ein vier Monate altes Mädchen, das von einer Kugel verletzt wurde. Zwei Erwachsene der Familie haben ebenfalls überlebt, sie waren auf der Arbeit, als es passierte. [ Die Leichen und die beiden überlebenden Kinder wurden in die Krankenstation von Karm az-Zaitun gebracht, in der wir vorhin waren, dort hat Raed sie gesehen . Entgegen den letzten Informationen gab es allerdings kein »schiitisches Autogramm« auf den Leichen. ]
Als Raed dort ankam, brabbelte das Baby vor sich hin, aber der dreijährige Junge war in Tränen aufgelöst und völlig verstört, niemand konnte ihn beruhigen. Ich habe das hinterher auf YouTube gesehen, es ist noch schlimmer als die Toten. Jedenfalls ist es immer schlimmer für die Überlebenden als für die Toten, die Toten spüren ja nichts mehr.
Die Opfer gehören einer Großfamilie an, die in zwei nebeneinanderliegenden Häusern wohnte. Sunniten, aber sie wohnten in einer Straße, die überwiegend alawitisch ist. Das Massaker hat nicht in Karm az-Zaitun stattgefunden, wie wir dachten, sondern in Nasihin, gegen 15.30 Uhr. Man zeigt uns auf dem Google-Earth-Foto, wo genau: in einer Straße südlich der Moschee von Bab Drib, wo wir heute Morgen an der Beerdigung des kleinen Jungen teilgenommen haben. Jenseits der großen Straße ist es ein alawitisches Viertel; die Wohnblöcke westlich der Straße sind auch alawitisch.
Es gibt drei Augenzeugen, Nachbarn, die die Mörder im BTR haben ankommen sehen, in Militäruniformen mit Stirnbändern mit dem Spruch » Ja Ali! «, schwarz auf gelb – Schiiten also, wenn das stimmt. Es könnte auch eine Provokation sein, um den Hass zwischen den Gemeinschaften zu schüren. Die Zeugen beteuern, dass sie durch ein Loch, das sie in die Hauswand gebohrt haben, das Ende des Massakers gesehen haben: sieben Mörder, die dabei waren, die Kinder zu töten. Als die Mörder gingen, fing die Straßensperre am Ende der Straße an zu schießen, um ihren Rückzug zu sichern.
Raed hat mit einem der Zeugen gesprochen, einem Mann von 50, 60 Jahren. Er schließt nicht aus, dass der Mann die Tat gar nicht wirklich beobachtet hat. Die Leichen hingegen sind unwiderlegbar.
Da die Zeugenaussage des Mannes uns wenig kohärent und eher unglaubwürdig erschien, haben wir in den Artikeln, die wir in Le Monde veröffentlicht haben, zahlreiche seiner Informationen außer Acht gelassen, darunter auch das »schiitische« Detail auf den Stirnbändern.
22 Uhr. Aljazeera berichtet, dass die FSA in Baba Amr fünf iranische Offiziere gefangen genommen hat, die sich als Scharfschützen betätigten. Das Fernsehen zeigt die fünf Männer, schwarz gekleidet, bärtig, und einen unleserlichen Ausweis. Wir werden sie anrufen, um das zu verifizieren, fragen, ob wir sie sehen dürfen.
Eine Woche später wird sich herausstellen, dass dieses Video eine gezielte Falschinformation war, anscheinend eingefädelt von Abderrazzaq Tlass. Die fünf Männer waren tatsächlich Iraner, aber es waren Ingenieure, die im Elektrizitätswerk von Homs arbeiteten und von der FSA gefangen genommen worden waren. Die Ausweise, die sie als Pasdarans identifizieren sollten, waren in Wirklichkeit ihre Freistellungen vom Militärdienst. Le Monde hat am 2. Februar einen gut recherchierten Artikel von Christophe Ayad über diese Affäre veröffentlicht.
Die Schüsse gehen wieder los, heftiger und intensiver denn je. Mehrere Detonationen, eine nach der anderen. Krach wie bei einem Feuerwerk.
Laut Abu Bilal werden Bajada und Khaldije bombardiert. Nähere Detonationen, sicher Bab Sbaa. Die Aktivisten sind untereinander durch ein Echtzeit-Online-Netzwerk verbunden und tauschen Informationen zwischen den Vierteln aus.
Die Schüsse dauern an. Langes heftiges Gehämmer, zweifellos Flugabwehr, und Granaten, zu einem jetzt ununterbrochenen Lärm von Kalaschnikows und Maschinengewehren.
Abu Adnan sagt uns, dass das die FSA ist, die die Polizeipräfektur angreift, im Zentrum, sowie die Straßensperren zwischen Bab Drib und Karm az-Zaitun. Sie haben auch ein BRDM 51 auf der Kairo-Straße zerstört.
22.45 Uhr. Die Schüsse und Bombardierungen gehen ohne Unterlass weiter. Die Lautsprecher der örtlichen Moschee fangen an, » Allahu akbar! « zu brüllen. Auf der Straße rufen Dutzende Stimmen » La ilaha ilallah! « und »
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