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Notizen aus Homs (German Edition)

Notizen aus Homs (German Edition)

Titel: Notizen aus Homs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Vierzigjähriger mit schmalem Gesicht, bärtig, das Haar rötlich, schlaue Augen, vollständig zahnlos bis auf einen einzelnen Schneidezahn im Unterkiefer. Er singt voller Gefühl und Konzentration und scheint alle Lieder zu kennen, um die man ihn bittet. Wenn er eine Pause macht, nimmt ein anderer den Faden auf. Die anderen hören zu, wedeln im Takt mit den Händen, manchmal klatschen sie in die Hände. Niemand unterbricht den anderen, es gibt keinerlei Konkurrenz oder Wettbewerb, jeder singt aus Freude am Singen und hört zu aus Freude am Zuhören, alle gemeinsam.

 
    Samstag, 28. Januar
    Safsafi – Baba Amr – Khaldije – Bajada
     
     
    Wir hatten zusammen mit der Redaktion von Le Monde beschlossen, dass diese zehn Tage in Homs für die Reportage genügten und es Zeit für mich wäre, in den Libanon zurückzufahren, während Raed, wie von Anfang an geplant, noch bleiben würde. Am Vortag hatte Raed mit der FSA von Baba Amr tele foniert und vereinbart, dass wir an diesem Morgen zu ihnen kommen würden, damit Ibn Pedro mich in den Libanon hinausschleust. Aus verschiedenen Gründen sollte daraus, wie wir gleich sehen werden, weder an diesem Tag noch an den folgenden etwas werden; erst am 2. Februar sollte es mir endlich gelingen, abzureisen.
     
    Morgen. Frühes Aufstehen für die Abfahrt nach Baba Amr und, inschaallah , weiter mit Ibn Pedro. Im Hof sitzt ein nachdenklicher, melancholischer Soldat und raucht eine Zigarette. Zwei Kameraden gesellen sich zu ihm. Man hört, wie sie Waffen auseinandernehmen, dazu Gesangsfetzen. Während wir Tee kochen, kommt ein weiterer Soldat, er schiebt sein Elektrofahrrad. Er zeigt uns ein langes Rohr aus verbogenem Metall, ein Stück von einer kleinen Rakete, die diesen Morgen in Karm az-Zaitun eingeschlagen ist. Zwei Tote.
     
    8.30 Uhr. Ein junger Taxifahrer, den Abu Adnan geschickt hat, holt uns ab. Wir fahren durch die kleinen Straßen von Safsafi, dann, zu meinem großen Erstaunen, statt weiter über den Suk zu fahren, wie wir gekommen sind, auf die Straße, die um die Zitadelle herumführt, direkt am Fuß des Berges. Als ich den Kopf hebe, sehe ich sehr deutlich die Stellungen der Scharfschützen, umgeben von Sandsäcken, direkt über uns. Das scheint den Taxifahrer nicht zu stören, der auf eine große Straße Richtung Zentrum biegt. Es gibt ein bisschen Verkehr, alles wirkt normal. Wir fahren relativ dicht an dem Gebäude der militärischen Sicherheit vorbei, durchqueren ein Viertel, nehmen eine weitere große Straße; an einer Kreuzung, vor dem Erziehungsministerium, wendet der Taxifahrer direkt vor drei Soldaten, die Wache stehen und uns völlig ignorieren. Dann sind wir in Inschaat, fahren über die Brazil-Straße und erreichen die ersten FSA-Straßensperren, die uns anhalten: »Wer seid ihr?« – »Französische Journalisten.« Etwas erstaunt, aber ohne uns zu behelligen, lassen sie uns durch.
     
    Wir finden uns wieder in Hassans Wohnung ein, wo wir Ahmad aufwecken, der immer noch so ein Bär ist. Warten. Ibn Pedro trifft gegen 10.15 Uhr ein. Das Gespräch dauert nicht lang. Heute fährt er nur bis zu dem Kaff, in dem wir auf der Hinfahrt angehalten haben, dann kommt er zurück nach Baba Amr; er könnte mich jemand anderem übergeben, der mich nach Qusair bringen würde, aber das ist nicht sicher. Außerdem hat Der Zorn sein Handy in Tripoli vergessen und ist nicht erreichbar. In zwei Tagen könnte er jedoch direkt nach Qusair fahren, nur um mich dorthin zu bringen. Raed und ich beraten uns kurz, dann entscheiden wir uns für die zweite Option. Also Rückkehr nach Khaldije und Bajada.
     
    *
     
    Frühstück auf einer Bank in der Sonne, auf dem zentralen Platz von Khaldije. Ein Gnadenmoment. Warmes Gebäck gefüllt mit Nüssen und Honig, gekauft in der »Pâtisserie Abu Yaser« [ sic ], deren Schild in französischer Sprache ist, und eine Art Getränk aus warmer Sahne und gestampften Nüssen, ziemlich widerlich. Danach gehen wir zum Friseur, um uns rasieren zu lassen, aber er hat noch geschlossen. Seine Nachbarn, in einer Autowerkstatt, laden uns auf einen Kaffee ein. Ihnen zufolge hat der Beschuss von Donnerstagabend [ der, den wir von Safsafi aus gehört haben ] im Umkreis des Platzes keine Opfer gefordert, obwohl ein Haus von einem Mörser getroffen wurde; was weiter weg los war, wissen sie nicht. Es ist 11.15 Uhr.
     
    Raed ist gestern Abend auch zu den Sängern gegangen, nachdem ich endlich eingeschlafen war. Abu Lail und einer seiner Freunde haben Vierzeiler

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