Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Notizen aus Homs (German Edition)

Notizen aus Homs (German Edition)

Titel: Notizen aus Homs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
Vom Netzwerk:
hoch. Mein Kaffee ist kalt.
     
    *
     
    Ankunft einer kleinen Gruppe, ein Aktivist mit zwei Filmemachern aus Damaskus, die eine Dokumentation über die Revolution drehen. Ich unterhalte mich mit einem von ihnen, O., der gut Französisch und noch besser Englisch spricht. Er erzählt mir von » fringe groups « im Umfeld der FSA, die jeden Tag Verbrechen begehen, Entführungen, Morde an alawitischen Zivilisten. Die FSA ist diszipliniert und verhält sich gut; aber diese Gruppen bestehen aus jungen Männern, deren Angehörige getötet oder vergewaltigt wurden, und sie finden, sie haben ein Recht darauf. Was natürlich bedeutet, dass sie den Provokationen des Regimes aufsitzen. Das ist charakteristisch für Homs, woanders gibt es das nicht. »In Homs gibt es eine religiöse Konfrontation, das lässt sich nicht leugnen. Von beiden Seiten gibt es ernsthafte Diskussionen über ethnische Säuberung.
    I’m a secular man from the cultural world. I must be here in this room. If I’m not, then it is a sectarian war. But if it develops better in other cities, then Homs will be contained. If a better version of the revolution prevails elsewhere, it will calm down the sectarianism here. The SNC is too slow for Homs, they are following the speed of the other cities, but Homs is going too fast.
    Homs is the worst place in Syria in terms of balanced clashes. But there are places far more devastated, Idlib for example. « 55
     
    O. fährt fort: Die FSA ist in der gesamten Peripherie von Damaskus sehr koordiniert und organisiert eingeschritten. Sorgfältig vorbereitete Offensive. Die Hierarchie dort ist streng, und alle katibas unterstehen direkt Riad al-Assaad in Antakya. Das ist bei den katibas hier nicht der Fall, die für O. eine andere FSA sind, quasi autonom, wie alles in Homs.
    Doch es gibt positive Entwicklungen, wie das, was die FSA von Khaldije gemacht hat, indem sie Omar Schamsi einlud, zu kommen und sie auszubilden, obwohl er nicht aus dem Viertel stammt.
     
    *
     
    16.45 Uhr. Noch ein Toter, gleich nebenan. Ein Mann, getötet von demselben Scharfschützen, immer noch dem von der Post. Abu Brahim geht los, um nachzusehen, ob er der Familie helfen kann. Er hat ihnen bereits Geld für die Beerdigung gegeben, sie hatten nicht genug.
     
    Neuigkeiten von den Verwundeten. Beide sind noch am Leben, aber in kritischem Zustand. Der erste hatte innere Blutungen, wurde aber operiert; dem zweiten hat man eine Drainage in die Lunge legen können, doch genau in dem Moment ist die Sicherheit ins Krankenhaus gekommen, und er musste überstürzt evakuiert werden.
     
    21.20 Uhr. Abu Brahim kommt mit dem Handy des Verwundeten zurück, der die Kugel in die Lunge bekommen hat, einem völlig durchbohrten Nokia. Die Kugel ist Richtung Herz gedriftet, blieb aber einen Zentimeter davor stecken, was den Mann gerettet hat. Die Kugel am Kopf hat den Knochen nur gestreift.
     
    *
     
    23 Uhr. Abu Brahim kommt auf meine Frage vom Abendessen zurück, nach Gott und dem Bösen. Theologische Diskussion. Meine Frage: »Wie kann Gott den Tod eines Kindes zulassen, wie wir es heute gesehen haben? Einen so ungerechten Tod?« Er fragt mich nach meinem Standpunkt, der der eines Ungläubigen ist, was ihn bestürzt: » Mischkil .« 56
    Er zitiert ein Sprichwort: »Die Spuren weisen den Weg.« Die Ordnung des Universums beweist, dass es sehr wohl eine Macht gibt, die all das organisiert. Dann fügt er noch eine Parabel hinzu: »Es war einmal ein Mann, der nicht an Gott glaubte. Er hörte von einem Gläubigen und wollte mit ihm diskutieren. Er führte sehr gern Streitgespräche und war in jedem Streit überlegen. Also suchte er den Muslim auf, einen Weisen. Sie verabredeten sich an der Moschee von Bagdad, nach dem Freitagsgebet. Durch Bagdad fließt, wie du weißt, der Tigris. Der Ungläubige wartete an der Moschee, der Muslim befand sich auf der anderen Tigrisseite. Er verspätete sich. Als er ankam, sagte der Ungläubige zu ihm: ›Warum bist du zu spät?‹ – ›Ich war auf der anderen Tigrisseite, und es gab weder eine Brücke noch ein Boot. Also habe ich gewartet, bis im Wasser treibende Holzstücke sich zu einem Boot zusammensetzten und mich hierhertrugen.‹ – ›Was, willst du mir weismachen, dass sich das Holz ganz von allein gesägt hat? Sich ganz von allein zu einem Boot zusammengebaut hat?‹ – ›Und du? Willst du mir weismachen, dass diese Moschee, diese Stadt, dieses Universum sich ganz von allein erschaffen haben?‹«
     
    Und was ist dann

Weitere Kostenlose Bücher