Notizen einer Verlorenen
Trauerfeier vor?«
Eine überraschende Frage. Ich stellte mein Hinwegwinden ein.
»Ich denke nicht an meinen eigenen Tod.«
»Irgendwann müssen Sie doch mal darüber nachgedacht haben, dass Ihr Leben endlich ist. Oder glauben Sie daran, ewig zu leben?«
»Natürlich nicht!«
»Sehen Sie, es gibt Leute, die wollen nicht nur die Dinge vor ihrem Tod erledigen. Die wollen den Tod selbst in die Hand nehmen, den Zeitpunkt ihres Todes selbst bestimmen. Genau das tat Jens! Alles verlief so, wie er es sich wünschte. Was ist daran so beklagenswert? Es gibt im Prinzip keinen Grund, weshalb Sie sich Gedanken darüber machen sollten, ob Sie ihn hätten retten können.«
»Sie haben eine seltsame Art, zu trösten.«
»Ich sage Ihnen etwas: Unsere Gesellschaft akzeptiert eine solche Selbstbestimmung nicht. Man spricht den Menschen ab, Ja oder Nein zu ihrem eigenen Leben zu sagen. Und warum? Weil es ihnen Angst macht, wenn andere über all dem stehen, an das sie sich selbst klammern. Würden Sie sich nicht auch lieber selbst einen Sarg aussuchen wollen?«
»Nicht unbedingt!« Ich mochte die Gedanken nicht, die er mir aufzwängte. Gedanken, die ich mich seit geraumer Zeit bemühte zu verdrängen.
Marc, der sein leeres Glas betrachtete, als bräuchte er Minuten, um diese Leere zu ergründen, stand plötzlich auf und verschaffte mir eine unerhoffte Ausweichmöglichkeit vor Buchheims lästigem Körper.
Ich gebe zu, dass Buchheims Behauptung, Jens hätte es ja so gewollt, irgendwie versöhnlich auf mich wirkte. Auch wenn diese Worte von jemandem kamen, den ich widerlich fand. Eindeutig hatte Jens es gewollt – allerdings mit mir gemeinsam. Und anstatt ihm aus seinem Sumpf herauszuhelfen, hatte ich ihn darin ersaufen lassen.
»Vielleicht hat Ihnen Jens auch ein bisschen was von uns erzählt?«, ergänzte Buchheim bedeutungsvoll und präsentierte ein erwartungsfrohes Gesicht, als wollte er mir einen Grund geben, ihm ein Geheimnis anzuvertrauen.
»Was meinen Sie denn, das er erzählt hat?«, fragte ich zurück und wusste absolut nicht, worauf er hinaus wollte.
Misstrauisch beäugte er mich, dann grinste er. Wieder auf die Weise, seine Augen nicht mitzunehmen und ohne zu zwinkern; so kalt und falsch, dass mir bei seinem Anblick übel wurde.
»Besuchen Sie uns doch mal. Jeden Sonntag haben wir eine Gesprächsrunde – ganz zwanglos. Sie sind herzlich eingeladen. Vielleicht fällt Ihnen bis dahin noch ein, was Jens alles so erzählt hat. Und keine Angst – die Hunde halte ich fest.«
Langsam nahm Buchheim die Hand hinter meinem Kopf weg, nicht ohne dabei mein Haar zu streifen. Er klatschte seine Pranke noch einmal auf meinen Oberschenkel und stand auf. Überheblich streckte er mir seine Rechte hin.
»Wir sehen uns dann?«
Ich nahm seine Hand nicht.
»Vielleicht«, sagte ich, obwohl ich sicher war, es nie zu tun.
»Schön, bringen Sie doch ihren Bekannten wieder mit.« Er wies auf Marc, der die restliche Zeit in ein Gespräch vertieft mit dieser Franziska zugebracht hatte. Sie auf einem Hocker vor der Bar sitzend, er stehend daneben und trotzdem weilten beide Köpfe in gleicher Höhe. Buchheim ließ mich zurück, um sich anderen Gästen zuzuwenden oder eher, um mit ihnen zu tuscheln, wie es mir vorkam. Eine Zeit lang wartete ich unschlüssig hinter Marc und Franziska auf eine Gelegenheit, sie zu unterbrechen und Marc mitzunehmen. Was sie besprachen, verstand ich nicht in dem Gemurmel der Menschen im Raum. Die beiden waren zu sehr mit sich und ihrem Gespräch beschäftigt, um mich zu bemerken. Es war also kein böser Wille, als ich Marc allein im Vereinshaus zurückließ, vielmehr Rücksichtnahme auf sein Privatleben.
Eine Einladung
Die nächsten Tage versuchte ich, alles zu verdrängen. Ich sagte mir immer öfter, dass es eigentlich gut war, dass Jens nicht mehr da war. Ja – gut! Endlich konnte ich ganz sicher sein, nie wieder von ihm belästigt zu werden. Ich hatte ihn mir weggewünscht und so war es geschehen. Worüber jammerte ich dann noch?
Schuld ist nichts, als ein gedachtes Wort. Aber festhalten, ist festhalten, es ist mehr als ein Wort und ich hatte mich geweigert, Jens festzuhalten, als er mich am meisten brauchte. Wo war er in seinen letzten Tagen und Wochen hineingeraten? Warum hatten sie ihm in diesem Selbsthilfeverein denn nicht geholfen? Was waren das für Leute, die sich auf Beerdigungen amüsierten?
Nicht nur mein unbefriedigter Wissensdurst, auch eine einzige Begegnung machten meine
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