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Notizen einer Verlorenen

Notizen einer Verlorenen

Titel: Notizen einer Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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Verdrängungsversuche zunichte.
    Ich überquerte die Krefelder Straße nach einem Besuch bei meinen Eltern – den einzigen Menschen, die immer zu mir halten. Ja, immer. Auch als sich sogenannte Freunde von mir abwandten, weil diese neue Freundin von Manuel mich überall als Schlampe bezeichnet hatte. Die Krefelder ist eine schmale Straße mit hohen alten Häusern in Essen-Frohnhausen, ohne die Schaufenster irgendwelcher Geschäfte. Kein Ort, an dem man mit vielen Fußgängern rechnet. Natürlich fiel mir der Mann im Augenwinkel auf, der mir bis zum Ende der Straße folgte. Ich mache Bewegungen nebenher aus, wenn ich gehe, sehe einen Schatten und ich weiß, ohne genau hinzusehen, ob es der Schatten eines Mannes oder einer Frau ist, und schätze in Sekunden die Gefahr ein, die mein Verfolger mit sich bringen könnte.
    Trotzdem beachtete ich diesen Schatten hinter mir nicht besonders, weil ich mit dem Gewicht der Taschen eines Einkaufes beschäftigt war und die Medikamente, wie so oft, meinen Verstand benebelten. Erst, als ich den Kofferraum meines Wagens öffnete, machte es mich stutzig, dass er hinter mir stehen blieb. Alarmiert riss ich meinen Kopf herum.
    »Hallo, Sarah!«
    Es war kein Fremder, sondern mein junger Bekannter aus dem Verein, heute nüchtern, wie es schien. Erleichtert atmete ich auf.
    »Oh – hallo, Alexander!«
    »Schön, dass Sie sich an meinen Namen erinnern.«
    Ich fühlte abermals etwas, als ich ihn ansah. In seinem so siegessicheren Lächeln war etwas, was ich nur schwer beschreiben kann. Ein Reiz, eine Versuchung, das trifft es am ehesten. Ja, eine Versuchung! Zu all dem Misstrauen, welches ich den seltsamen Freunden von Jens gegenüber empfand, hatte sich vom ersten Tag an ein Gefühl für diesen jungen Mann bei mir eingeschlichen, ich merkte es längst.
    »Wussten Sie, dass Sie mich hier finden würden, oder ist unsere Begegnung ein Zufall?«, fragte ich.
    Er musste nicht wissen, wie anziehend ich ihn fand, deshalb wählte ich einen nebensächlichen Tonfall.
    »Hier wohnen doch Ihre Eltern. Darf ich helfen?«
    Alexander nahm einen Beutel mit Getränkeflaschen an sich und verstaute sie mit Schwung in meinem alten Golf.
    »Sie wissen, wo meine Eltern wohnen?«
    Wie selbstverständlich, als helfe er mir tagtäglich, nahm er mir auch die andere Tasche ab, dann warf er die Kofferraumhaube zu. Ich beobachtete ihn dabei und wunderte mich, dass ich ihn gewähren ließ. Bevor ich mir all zu viele Gedanken machen konnte, stand er schon wieder vor mir.
    »Wollen wir nicht irgendwo einen Kaffee trinken?«
    »Wo?«
    »Seien wir doch spontan!«
    »Wie kommen Sie überhaupt dazu, mir vor dem Haus meiner Eltern aufzulauern?«
    »Ich dachte, es sei unverfänglicher, als Ihnen zu Hause aufzulauern.«
    »Und was versprechen Sie sich davon?«
    »Hilft es, wenn ich sage, dass ich Sie hinreißend finde und unbedingt wiedersehen wollte?«
    »Gibt es viele Frauen, die Sie so hinreißend finden?«
    Er überhörte es und hielt mir seinen angewinkelten Arm zum Einhaken hin.
    »Wollen wir?«
    Ich nahm ihn. Das ist es, was ich an mir selbst nicht verstehe. Mein Verstand zweifelte und hinterfragte, auch mein Bauch wehrte sich gegen diesen Schwachsinn, aber die Neugier und wohl auch meine Hormone schoben all das beiseite. Ich sah mich noch um, als könnte ich von irgendwem einen Rat, besser noch eine Maßregelung erhalten, ging jedoch Arm in Arm mit ihm mit.
    Alexander war viel größer als ich. Ich reichte ihm gerade bis zu den breiten Schultern, die auch heute wieder in einem gut sitzenden Sakko steckten, und sah nun von der Seite aus zu seinem Gesicht hoch. Die dunklen Stoppeln seines Dreitage-Bartes machten ihn nach außen hin älter, doch wenn man genau hinsah, waren sie so weich, wie seine Haut. Sein Arm fühlte sich stark an – muskulös, nicht so, wie Jens' schlappe Knochen.
    Wohin wir eigentlich gingen, überließ ich ihm, ohne zu fragen. Wir wollten ja spontan sein. Ein paar Straßen weiter führte er mich dann genau in das italienische Eiscafé Casal an der Ecke zur Apostelkirche, in dem ich schon als Kind mein Taschengeld verschwendet und Manuel mich umgarnt hatte. Ich wurde den Verdacht nicht los, dass alles an unserem Treffen genau so geplant war, mit der Selbstsicherheit eines routinierten Verführers. Rein gar nichts daran war Zufall gewesen.
    Ich nahm einen Cappuccino, wahrscheinlich wusste er auch das im Voraus. Alexander bestellte einen Lumumba mit Strohhalm. Der Geruch des Rums passte nicht in das

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