Notizen einer Verlorenen
Buchheim mich bedrohte.
Plötzlich umschlang Buchheim meinen Kopf mit beiden Händen. Sein Mund kam mir so nahe, dass mir der Geruch daraus die Luft nahm.
»Ich behalte dich im Auge!«, drohte er zischend, mit diesem warmen Atem voll von altem Kaffee. »Du gehörst Alexander, aber sei sicher, dass ich jeden deiner Schritte beobachten werde!«
Er betrachtete noch einen Moment lang mein schauderndes Gesicht, dann presste er seinen Mund auf meine Lippen und leckte mir das Gesicht bis zur Nase nass. Ich schrie erstickt auf und wehrte mich mit Zerren und Kneifen gegen seine Hände an meinem Kopf. Schließlich ließ er los, erhob sich aus seiner gebückten Haltung und grinste von oben herab.
»Und nicht vergessen, ich bin immer in der Nähe! Auch dann, wenn du mich nicht siehst!«
Angewidert wischte ich mir mit dem Ärmel die Lippen trocken. Ich rieb meine Zunge an dem Stoff meiner Bluse und trank ein komplettes Glas Wasser, um den Geschmack dieses Scheißkerls von meiner Haut zu löschen. Was für ein Arschloch! Ich spuckte noch mindestens zehn Mal auf den Boden, bis ich langsam Ruhe fand. Buchheim war in einem der Nebenräume verschwunden, aber ich war mir sicher, dass er mich nach wie vor beobachtete, genauso, wie er es mir angedroht hatte. Und ich war ebenso sicher, dass er noch immer grinste.
Mit einem tiefen Atemzug stand ich auf und ordnete mein Haar. Ich wusste noch nicht, wie ich damit umgehen sollte. Sollte ich mit Alexander darüber sprechen? Oder sollte ich ganz einfach zur Polizei gehen? Was sollte ich denen sagen? Dass Buchheim mich geküsst hatte? Keine ausreichende Belästigung ihn anzuklagen, schätzte ich. Eine Strafe bei Verrat? Meine Gedanken drehten sich im Kreis.
Keiner von den anderen nahm Notiz von meinen zitternden Gliedmaßen, als ich an den Sitzecken vorbei zur Bar ging. Marc stand hinter dem Tresen und unterhielt sich mit Kevin und Larissa, die sich auf Barhockern sitzend anlehnten. Eigentlich hätten sie bemerken müssen, dass ich Hilfe suchte, hätten sie mich nur richtig angesehen. Aber sagen konnte ich ja nichts. Sollte ich sagen: Euer Buchheim will, dass ich mich schon bald umbringe? Was hätten sie anderes antworten sollen, als »ja, und?«.
Kevin stand auf, als er mich kommen sah, und bot mir sogleich seinen Platz an, wobei er, wie es mir schien, die Gelegenheit nutzte, mit Larissa Schulter an Schulter zu sein. Das zerbrechliche Mädchen hockte auf dem Barhocker, als könnte sie jederzeit vor Schwäche herabsinken. Sie lächelte mir sanftmütig zu.
»Und? Wie fühlen Sie sich jetzt, nachdem Sie die Entscheidung getroffen haben?«
Ich blieb stehen und lehnte neben ihnen an dem Tresen. »Sie meinen die Entscheidung, hier Mitglied zu werden?«
Da war ich mir ganz sicher, mich in ein schlechtes Nest gesetzt zu haben.
»Ich meine die Entscheidung, es tatsächlich zu tun. Das Leben nicht nur in Gedanken hinter sich zu lassen, sondern es wirklich zu machen. Fühlen Sie sich nun besser, als vorher?«
Ihre Stimme klang melancholisch und ich fragte mich, ob sie ähnliche Zweifel hegte wie ich, was ihre Mitgliedschaft betraf. Vielleicht wollte auch sie sich gar nicht wirklich umbringen und war hier gefangen im Dunstkreis von Buchheim, der allen mit Strafe drohte, die seine Gemeinschaft verlassen wollten.
Sie schien sehr viel reifer zu sein, als ihr jugendliches Alter vermuten ließ, wenn man, wie ich, die Ernsthaftigkeit ihrer Worte als Reife deuten wollte.
»Ich weiß noch nicht, wie ich mich fühle«, sagte ich ihr ehrlich. »Das werden die nächsten Tage und Wochen zeigen.«
Ich betrachtete ihr blasses Gesicht mit den dunklen Augen und fehlenden Augenbrauen. »Und Sie? Wie fühlen Sie sich dabei?«
Ihre Augen hatten etwas Trauriges und sie brannten sich in mein Gehirn, als sie meinen Blick erwiderte. Nichts an ihr strahlte irgendeine Begeisterung aus, nur weil sie hier war. Über ihr lag eine Glocke von Erschöpfung und Mutlosigkeit.
»Nachdem mir die Diagnose des Arztes so richtig klar wurde, wusste ich, ich kann nichts anderes mehr fürchten, als den Tod, den ich erwarte. Natürlich weiß ich von der Gefühllosigkeit des Todes. Wer je aus einer Vollnarkose erwacht ist, weiß, dass man in der Bewusstlosigkeit nichts empfindet. Aber es war immer diese Angst da, vor dem quälenden Dahinsiechen.«
Sie holte tief Luft, bevor sie weitersprach.
»Jetzt wo ich weiß, es gibt eine Möglichkeit, meinen Tod selbst zu bestimmen; nicht zu warten, bis er sich grausam von hinten
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